Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Notarzt im Rettungsdienst. Auftragsverhältnis. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung
Leitsatz (amtlich)
1. Besteht zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer keine Dauerbeziehung, sondern wird der Auftragnehmer auf der Grundlage von Einzelaufträgen für den Auftraggeber tätig, sind nur diese am Maßstab der von der Rechtsprechung für die Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit und Beschäftigung entwickelten Grundsätze zu bewerten (Anschluss an BSG vom 30.10.2013 - B 12 KR 17/11 R).
2. Für die im Rahmen einer Statusentscheidung relevante Weisungsbefugnis reicht es nicht aus, dass bei der Ausübung einer Dienstleistung bestimmte öffentlich-rechtliche Vorgaben zu beachten sind. Die aus Gründen der Koordination der Rettungsmaßnahmen bei einem Großschadensereignis notwendige Einräumung der fachlichen Weisungsbefugnis auf die Einsatzleitung bzw. den leitenden Notarzt stellt eine ordnungsrechtliche Regelung der Gefahrenabwehr und der öffentlichen Gesundheitsvorsorge dar, der für die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status keine maßgebliche Bedeutung beizumessen ist. Die Normen zur Organisation des Rettungsdienstes sind als solche nicht geeignet, eine arbeitsvertragliche Weisungsbefugnis zu begründen (ebenso LSG Berlin-Potsdam vom 14.9.2017 - L 1 KR 404/15 = juris RdNr 48; LSG Essen vom 8.2.2017 - L 8 R 162/15 = juris RdNr 151).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 22. November 2017 sowie der Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2017 aufgehoben und festgestellt, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) bei dem Kläger ab dem 3. August 2016 nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Sozialversicherungspflicht der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Notarzt bei dem Kläger.
Der Beigeladene zu 1) ist seit dem 3. August 2016 als Notarzt für den Kläger tätig. Daneben übt er eine weitere Tätigkeit als beschäftigter Notarzt in Vollzeit beim B. gGmbH aus. Der Kläger ist als Landkreis in Hessen zugleich öffentlich-rechtlicher Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes einschließlich der notärztlichen Versorgung sowie der Berg- und Wasserrettung (Rettungsdienstträger) sowie Leistungserbringer im Rettungsdienst.
Der Kläger und der Beigeladene zu 1) haben am 6. Juni 2016 eine Honorarvereinbarung mit folgendem Inhalt geschlossen (auszugsweise):
„Gegenstand der Leistung nach dieser Vereinbarung ist die Übernahme von Bereitschaftsdiensten für die notärztliche Versorgung im Rettungsdienstbereich Fulda mittels bodengebundenem Notarztsystem (NEF). Der Notarzt ist in seiner Verantwortung in Diagnostik und Therapie unabhängig und nur dem Gesetz verpflichtet. Er ist im Einsatzgeschehen an die Weisungen des leitenden Notarztes (LNA) gebunden. Der Notarzt ist freiberuflich tätig und wird nicht in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden. Er unterwirft sich keinen einseitigen nachträglichen Weisungen von Bediensteten des Auftraggebers. Der Notarzt leistet Rettungseinsätze, die während der vom Auftraggeber gestellten Dienste von der Leitstelle des Auftraggebers angezeigt werden (§ 2).
Der Notarzt verpflichtet sich, im Einsatz persönliche Schutzausrüstung entsprechend den jeweils gültigen Sicherheitsvorschriften zu tragen (§ 3).
Der im Rahmen dieses Honorarvertrages eingesetzte Notarzt wird im Bereich Notarzteinsatzfahrzeug der C. Fulda, stationiert an der D. Fulda, eingesetzt. Es gelten folgende Dienstzeiten:
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Montag bis Donnerstag |
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7:30 Uhr bis 21:00 Uhr |
Freitag |
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7:30 Uhr bis 23:00 Uhr |
Samstag |
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7:30 Uhr bis 23:00 Uhr |
Sonntag und Wochenfeiertag |
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11:00 Uhr bis 22:00 Uhr (§ 4) |
Der Notarzt teilt per E-Mail dem Dienstplankoordinator mit, welche Dienste er zu übernehmen bereit ist. Der Auftraggeber entscheidet im Rahmen der vom Notarzt angebotenen Termine, zu welchen Diensten er ihn bestellt und teilt ihm dies per E-Mail spätestens fünf Tage vor dem Termin mit.
Aus dem Abschluss dieses Vertrages erwächst kein Anspruch des Notarztes gegen den Auftraggeber auf Bestellung der von ihm angebotenen Dienste und kein Anspruch des Auftraggebers, dass der Notarzt bestimmte Diensttermine anbietet. Der Dienstplan wird vom Auftraggeber oder eines von ihm Beauftragten aufgestellt (§ 5).
Der Auftragnehmer erhält pro geleistete Stunde ein Stundensatz von 35 € (Brutto). Bei angefangenen Stunden wird ab der 16. Minute der halbe Stundensatz und ab der 46. Minute der volle Stundensatz vergütet.
Der Notarzt stellt die von ihm erbrachten Leistungen monatlich, bis spätesten...