Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. unmittelbare und mittelbare Unfallfolge. Ursachenzusammenhang. Theorie der wesentlichen Bedingung. Konkurrenzursache. psychische Erkrankung. PTBS. Depression. Raubüberfall. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Wiedereingliederungsmaßnahmen auf Aufforderung des Unfallversicherungsträgers. wiederholtes Aufsuchen des Arbeitgebers. Schutzzweck des § 11 SGB 7
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den in § 11 SGB 7 genannten Maßnahmen und Gesundheitsschäden gelten die Grundsätze, die auch sonst für die Beurteilung der Kausalität in der gesetzlichen Unfallversicherung gelten.
2. Der Schutzzweck des § 11 SGB 7 kann im Hinblick auf medizinische Folgen aus sozialen Schäden (hier: psychische Störung auf Grund Enttäuschung über den Arbeitgeber) nicht weiter gehen als im Rahmen des Versicherungsfalles nach § 8 SGB 7.
Orientierungssatz
1. "Andauernde Persönlichkeitsänderungen nach Extrembelastung" (ICD-10 F62.0) können nicht durch ein einmaliges Ereignis (hier: schwere räuberische Erpressung) herbeigeführt werden.
2. Hirnorganische Veränderungen (hier: Vorliegen schicksalhaft kognitiver Störungen und Defizite, mittelschweres demenzielles Syndrom) schließen die Diagnose einer "andauernden Persönlichkeitsänderung nach psychischer Krankheit" (ICD-10 F 62.1) aus.
3. Zu den Anforderungen einer chronifizierten PTBS nach der Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften - AWMF - Stand 2012).
4. Zur Nichtanerkennung einer rezidivierenden depressiven Störung in der Ausprägung einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD-10 F33.1) als weitere Unfallfolge gem § 8 Abs 1 S 2 SGB 7.
5. Gesundheitsschäden iS des § 11 SGB 7 müssen - anders als nach § 8 Abs 1 SGB 7 - nicht durch den Gesundheitserstschaden verursacht worden sein (vgl BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R = NZS 2012, 909). § 11 SGB 7 erstreckt sich auch auf Gesundheitsschäden, die ohne neues Unfallereignis auftreten, und ist nicht auf Folgeunfälle iS eines plötzlich eintretenden schädigenden Ereignisses beschränkt.
Normenkette
SGB VII § 8 Abs. 1 S. 2, § 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Sätze 1-2, § 56 Abs. 1; SGG § 128
Tatbestand
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. August 2018 aufgehoben, soweit dieses über das angenommene Teilanerkenntnis der Beklagten im Senatstermin vom 13. August 2019 hinausgeht, und die Klage im Übrigen in vollem Umfang abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Der 1956 geborene Kläger begehrt die Feststellung weiterer Unfallfolgen und die Gewährung einer Rente auf Dauer nach einem anerkannten Arbeitsunfall.
Der Kläger, der inzwischen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung erhält (Bescheide der DRV Bund vom 23. Mai 2013 und vom 9. Dezember 2013), ist ausgebildeter Groß- und Außenhandelskaufmann. Er wurde bei seiner Tätigkeit als Bankkaufmann (in der Kundenberatung) bei der Kreissparkasse A-Stadt Opfer einer schweren räuberischen Erpressung. Das Ereignis fand am 3. September 2010 wie folgt statt: Der Kläger befand sich mit zwei Kollegen vorne am Tresen, um etwas zu besprechen, als plötzlich ein Mann mit Fahrradhelm, Sonnenbrille und Mundschutz gezielt auf den Tresen zuging und sagte, er wolle Geld haben. Im Gehen öffnete er seine Bauchtasche und holte eine Waffe (Anm.: Es handelte sich um eine Schreckschusspistole) heraus. Der Kläger sagte sofort, dass er Geld holen werde, und ging nach hinten. Der Täter deutete mit der Waffe auf zwei Schränke, die geöffnet werden sollten, weil er dort Geld vermutete, aber die beiden Kollegen zeigten ihm, dass dort kein Geld war. Dann rief der Kläger von hinten, dass er das Geld habe, und der Täter ging nach hinten, ließ sich das Geld einpacken und verschwand. Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Hanau vom 11. April 2013 (Az.: 1 KLs - 3350 Js 13769/12) wurde der Täter wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilt.
Am 25. November 2010 ging bei der Beklagten die Unfallanzeige des Arbeitgebers ein, am 17. November 2010 ein Bericht des Diplom-Sozialpädagogen C., Inhaber einer Praxis für Beratung und Krisenintervention nach traumatischen Ereignissen, über die psychotherapeutische Beratung und Krisenintervention am 18. Oktober 2010 mit den drei von dem Überfall betroffenen Mitarbeitern der Bank. Herr C. teilt mit, bei dem ersten Gruppengespräch am 16. September 2010 hätte sich bei dem Kläger eine Vielzahl der häufig auftretenden Stressreaktionen auf deutlich erhöhtem Niveau gezeigt. Zu den Stressreaktionen hätten gezählt: häufiges Auftreten von Gedanken und Bildern in Bezug auf den erlebten Überfall, zeitweise verbunden mit dem Gefühl, alles noch einmal zu erleben; gesteigerte Wachsamkeit und erhöhtes Misstrauen gegenüber fremden Personen; stark erhöhte Schreckhaftigkeit und ...