Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Barauszahlung bei Cash-statt-Handy-Geschäft. kein Vermögenszuwachs. keine Notwendigkeit zur Aussetzung des sozialgerichtlichen Verfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zahlt ein Leistungsberechtigter nach dem SGB 2 im Rahmen eines "Cash-statt-Handy-Geschäfts" ohne Telefonie höhere Gebühren an das Mobilfunkunternehmen als er als Barauszahlung an Stelle der Handy-Kaufoption von einem Drittunternehmen erhalten hat, so liegt kein Vermögenszuwachs und damit auch kein Einkommen iS des § 11 SGB 2 vor.

2. Einer Aussetzung und Vertagung des Rechtsstreits analog § 114 SGG zur Nachholung des Vorverfahrens bedarf es ausnahmsweise nicht, wenn der Kläger durch den mit Widerspruch angegriffenen, aber nicht an ihn adressierten Bescheid ersichtlich nicht beschwert ist.

 

Normenkette

SGB II § 11 Abs. 1 S. 1, § 12; SGG §§ 66, 84 Abs. 2 S. 3, §§ 86, 114; BGB § 488; KWG ist § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; KWG ist § 32 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. August 2012 geändert. Die Klagen der Kläger zu 2) und zu 3) im ursprünglichen Verfahren S 6 AS 1234/10 werden als unzulässig abgewiesen.

2. Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

3. Der Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens der Klägerin zu 1) sowie 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2) und zu 3) in beiden Instanzen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten sind die Anrechnung von Einkommen bei der Leistungsberechnung sowie Aufhebungs-und Erstattungsbescheide wegen ohne die Anrechnung von Einkommen erfolgter Bewilligungen in Streit.

Die Kläger, Eltern und Sohn, bilden eine dreiköpfige Bedarfsgemeinschaft und stehen seit mehreren Jahren im Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB Il). Am 27. November 2009 stellten die Kläger einen Weiterbewilligungsantrag nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 7. Dezember 2009 bewilligte der Beklagte den Klägern für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 30. April 2010 im Hinblick auf zu erwartendes Einkommen vorläufig Leistungen nach dem SGB II in wechselnder Höhe. Mit Änderungsbescheid vom 25. Februar 2010 modifizierte der Beklagte die Leistungshöhe nach Vorlage von Verdienstnachweisen für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 30. April 2010. Am 9. April 2010 stellten die Kläger einen Weiterbewilligungsantrag für Leistungen ab 1. Mai 2010. Sie überreichten u.a. Kontoauszüge für die Klägerin zu 1), aus denen hervorgeht, dass am 25. Februar 2010 auf ihrem Konto ein Betrag in Höhe von 1.200,00 € von der Firma “Handytraum24.de Limited„ (im Folgenden: “Handytraum24.de„) eingegangen war. Mit Schreiben vom 12. April 2010 forderte der Beklagte die Klägerin zu 1) zur Vorlage verschiedener Unterlagen auf und bat sie bis 29. April 2010 darzulegen, um was für eine Einzahlung es sich bei dem Eingang in Höhe von 1.200,00 € auf ihrem Konto handele.

Die Klägerin zu 1) überreichte daraufhin am 26. April 2010 einen nicht unterschriebenen “Teilnehmerantrag/Mobilfunk-Kundenauftrag„ mit dem Vermerk “Vertrag 2„ mit der Firma D. vom 15. Februar 2010. Als E-Mail-Adresse ist dort “…@handytraum24.de„ angegeben. Außerdem legte die Klägerin zu 1) eine Auftragsbestätigung der Firma D./E. vom 19. Februar 2010, die einen Paketpreis von 14,95 €, einen Anschlusspreis von 25,95 € sowie die Gutschrift dieses Anschlusspreises ausweist.

Mit Bescheid vom 29. April 2010 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Mai 2010 bis 31. Oktober 2010 in wechselnder Höhe. Dem Berechnungsbogen zu diesem Bescheid ist zu entnehmen, dass der Beklagte im Zeitraum 1. Mai 2010 bis 31. August 2010 ein Einkommen der Klägerin zu 1) von 200,00 € monatlich als sonstiges Einkommen berücksichtigt. Der Bescheid enthält folgenden Hinweis: “Bitte beachten Sie: Am 25.02.2010 wurde Ihnen ein Betrag in Höhe von 1.200,00 € auf Ihr Konto gutgeschrieben. Dieser Betrag ist gemäß § 11 SGB II als einmalige Einnahme ab 01.03.2010 bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II auf einen Zeitraum von 6 Monaten zu berücksichtigen." Mit Schriftsatz ebenfalls vom 29. April 2010 hörte der Beklagte die Klägerin zu 1) zu einer möglichen Überzahlung von SGB II-Leistungen bzw. einer Anrechnung der 1.200,00 € als einmalige Einnahme an.

Mit Schreiben vom 5. Mai 2010 legte die Klägerin zu 1) am 7. Mai 2010 im Namen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (“kürzen Sie unser Arbeitslosengeld 2„, “sind wir nicht einverstanden„) gegen den Bewilligungsbescheid vom 29. April 2010 Widerspruch ein. Sie trug vor: “Mein Ehemann ist arbeitslos und sucht dringend eine Arbeit. Da er mit dem Erwerb des Führerscheins bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat, haben wir den Betrag in Höhe von 1.200,00 € bei D. geliehen und für Fahrstunden und Gebühren verwendet. Dieses Geld bezahlten wir monatlich zurück. Es stand nie für unseren Lebensunterhalt ...

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