Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Höhe des Regelsatzes nach der Regelbedarfsstufe 1. Einkommenseinsatz. Absetzung eines Freibetrages vom Einkommen aus einer zusätzlichen Altersvorsorge. Rente wegen voller Erwerbsminderung. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfsstufe 1 im Zeitraum 1.1.2019 bis 30.6.2019.

2. § 82 Abs 4 und 5 SGB XII idF ab 1.1.2018, wonach bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bei einem Einkommen aus einer zusätzlichen Altersvorsorge und nicht auch bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung des Leistungsberechtigten ein Freibetrag abzusetzen ist, verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 19. Juli 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über höhere Leistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuchs - Sozialhilfe (SGB XII).

Der 1962 geborene, alleinstehende Kläger ist Fachjournalist für IT-Technik. Er leidet an einer psychischen Störung mit funktionellen Organbeschwerden, Schwerhörigkeit, Stimmstörung, Asthma bronchiale, Bluthochdruck, Reizmagen, Gangstörung bei Übergeeicht mit Stauungserscheinungen beider Beide, Polyneuropathie, Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden. Nach einer Lungenembolie steht er unter Antikoagulanziendauerbehandlung. Er ist schwerbehindert, jedenfalls ab 29. Juni 2012 waren ein Grad der Behinderung von 50, seit 1. August 2020 ein Grad der Behinderung von 70 und das Merkzeichen „G“ (Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales Kassel vom 14. September 2020, Bl. 153 VA) festgestellt. Seit 1. April 2014 bezieht er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung sowie. Seit 29. Juli 2019 erhält er weiterhin Leistungen des Pflegegrades 1.

Ebenfalls seit 1. April 2014 bezog der Kläger Leistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuches - Sozialhilfe (SGB XII), Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Bescheide des Beklagten vom 18. September 2014 [Bl. 149 VA] für die Zeit vom 1. August 2014 bis 30. Juni 2015, vom 27. April 2015 [Bl. 247 VA] für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis 30. Juni 2016, geändert durch Bescheide vom 13. Juli 2015 [Bl. 276 VA], 23. Juli 2015 [Bl. 302 VA], 30. November 2015 [Bl. 335], 25. April 2016 [Bl. 392 VA], vom 25. April 2016 [Bl. 401 VA] für die Zeit vom 1. Juli 2016 bis 30. Juni 2017, geändert durch Bescheide vom 14. März 2017 [Bl. 420 VA], 3. April 2017 [Bl. 430 VA], vom 9. Mai 2017 [Bl. 443 VA] für die Zeit vom 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2018, geändert durch Bescheid vom 2. Januar 2018 [Bl. 461 VA]).

Mit Bescheid vom 25. April 2018 (Bl. 490 VA), geändert durch Bescheid vom 26. April 2018 (Bl. 495 VA) setzte der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 2018 bis 30. Juni 2019 auf 385,06 Euro fest und erkannte den auf den Kläger entfallenden Anteil seiner Kosten der Unterkunft und Heizung als angemessenen an. Er rechnete dabei Einkommen auf den sozialhilferechtlichen Bedarf die Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 327,20 Euro monatlich, gemindert um Beiträge zur Hausrat- und Haftpflichtversicherung in Höhe von 7,67 Euro bzw. 9,88 Euro monatlich, an.

Mit Bescheid vom 8. April 2019 (Bl. 556 ff VA) hob der Beklagten den Bescheid vom 25. April 2018 für die Monate Januar 2019 bis Juni 2019 gemäß § 48 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - wegen der Regelbedarfserhöhung sowie der Rentenanpassung ab Januar 2019 auf und berechnete die Leistungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis 30. Juni 2019 in Höhe von 314,72 Euro neu. Die Kosten der Unterkunft und Heizung wurden dabei in tatsächlicher Höhe (abzüglich 67,60 Euro Mietminderung des Klägers gegenüber dem Vermieter) bewilligt. Es ergab sich folgende Berechnung:

Regelbedarf

424,00 Euro

Grundmiete

67,61 Euro

Heizkosten

90,00 Euro

Nebenkosten

53,50 Euro

Gesamtbedarf

635,11 Euro

Rente wegen voller Erwerbsminderung

-337,94 Euro

Abzgl. Hausratversicherung

7,67 Euro

Abzgl. Haftpflichtversicherung

9,88 Euro

Grundsicherungsleistung

314,72 Euro

Hiergegen legte der Kläger am 10. April 2019 Widerspruch (Bl. 568b ff VA) ein. Zugleich stellte er einen Antrag nach § 44 SGB X für die Zeit ab 1. April 2014. Er machte geltend, dass ihm - ebenso wie Beziehern von Betriebs- oder Privatrenten - auf seine gesetzliche Rente wegen voller Erwerbsminderung ein Freibetrag in Höhe von monatlich 212,00 Euro zuzubilligen sei, was für den Zeitraum vom 1. April 2014 bis 30. April 2019 zu einem zu verzinsenden Nachzahlungsanspruch in Höhe von 12.720,00 Euro (richtig: 12.932,00 Euro) führe. Ab Mai 2019 sei der Freibetrag laufend zu gewähren. Auch der Regelbedarf sei verfassungswidrig zu niedrig bemessen.

Mit Schreiben vom 20. Mai 2019 (Bl. 591 ff VA) hörte der Beklagte den Kläger zu ...

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