Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Ermittlung der ordnungsgemäßen Leistungsabrechnung im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren. gerichtliche Überprüfung einer quartalsgleichen sachlich-rechnerischen Berichtigung. Ermessen in § 131 Abs 5 SGG dient allein der Sicherung richterlicher Verfahrensherrschaft. Tenorierung einer Entscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ermittlung der ordnungsgemäßen Leistungsabrechnung unterliegt im Verwaltungsverfahren der quartalsgleichen sachlich-rechnerischen Berichtigung einer Stufung von Mitwirkungspflichten des Leistungserbringers einerseits und der Amtsermittlungspflicht der Kassenärztlichen Vereinigung andererseits. Die Kassenärztliche Vereinigung genügt dem Untersuchungsgrundsatz nicht, wenn sie bei einer Rechnungslegung durch das abrechnende Krankenhaus, die den Abrechnungsrichtlinien genügt, bei Notfallbehandlungen die Vergütung von Laborleistungen regelwerkstechnisch absetzt, ohne im Einzelfall zu ermitteln.
2. Die gerichtliche Überprüfung einer quartalsgleichen sachlich-rechnerischen Berichtigung ist nicht auf das Vorbringen des Leistungserbringers bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides beschränkt.
3. Das Ermessen in § 131 Abs 5 SGG dient allein der Sicherung richterlicher Verfahrensherrschaft. Dies begrenzt die berufungsgerichtliche Überprüfung auf Ermessensfehler.
4. Zu den Voraussetzungen und der Tenorierung einer Entscheidung nach § 131 Abs 5 SGG.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 18. März 2015 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Berichtigung in den 13 Quartalen I/09 bis I/13 in Höhe von insgesamt 229.114,26 € netto wegen der Absetzung von im Rahmen von Notfallbehandlungen erbrachter Laborleistungen des Kapitels 32 EBM-Ä.
Die Klägerin betreibt ein Klinikum im Bereich der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. In den streitbefangenen Quartalen erbrachten die Ärzte der Klägerin Notfallbehandlungen, deren Vergütung die Beklagte jeweils mit Honorarbescheiden festsetzte (Bescheide vom 20. Juli 2009 für I/09, vom 11. Oktober 2009 für II/09, vom 23. Dezember 2009 für III/09, vom 27. März 2010 für IV/09, vom 29. Juni 2010 für I/10, vom 27. September 2010 für II/10, vom 28. Dezember 2010 für III/10, vom 30. März 2011 für IV/10, vom 24. Juni 2011 für I/11, vom 4. Oktober 2011 für II/11, vom 12. Januar 2012 für III/11, vom 2. April 2012 für IV/11, vom 3. Juli 2012 für I/12, vom 28. September 2012 für II/12, vom 6. Januar 2013 für III/12, vom 8. April 2013 für IV/12 und vom 15. Juli 2013, geändert durch Bescheid vom 11. September 2014 für I/13). Neben einzelnen weiteren Absetzungen setzte sie Laborleistungen des Kapitels 32 EBM-Ä ab. Zur Begründung wurde jeweils lediglich ausgeführt: "Im Rahmen einer Notfallbehandlung sind die nachfolgend aufgeführten GOP's nicht berechnungsfähig. Regel: 00000.3020VB" (in den Quartalen I/09 bis II/10 wurde als Endzahl der Regel angegeben: 302VB)."
Hiergegen legte die Klägerin jeweils Widerspruch ein (eingegangen am 3. September 2009 gegen den Bescheid für I/09, am 17. Dezember 2009 gegen den Bescheid für II/09, am 18. März 2010 gegen den Bescheid für III/09, am 1. Juli 2010 gegen den Bescheid für IV/09 [irrtümlich mit I/10 bezeichnet, aber laut Telefonvermerk richtig gestellt], am 5. Oktober 2010 gegen den Bescheid für I/10, am 9. Dezember 2010 gegen den Bescheid für II/10, am 1. März 2011 gegen den Bescheid für III/10, am 1. Juli 2011 gegen den Bescheid für IV/10, am 16. Dezember 2011 gegen den Bescheid für I/11, am 10. Februar 2012 gegen den Bescheid für II/11, am 9. März 2012 gegen den Bescheid für III/11, am 18. Mai 2012 gegen den Bescheid für IV/11, am 23. August 2012 gegen den Bescheid für I/12, am 21. November 2012 gegen den Bescheid für II/12, am 22. Februar 2013 gegen den Bescheid für III/12, am 31. Mai 2013 gegen den Bescheid für IV/12 sowie am 28. August 2013 und am 13. November 2014 gegen den Bescheid bzw. Änderungsbescheid für I/13). Jeweils wurde zur Begründung ausgeführt, dass die Streichung von Laborleistungen in der Notfallbehandlung ohne Grund erfolgt sei.
Die Beklagte wies die Klägerin unter Datum vom 23. Juli 2013 auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hin und gab ihr Gelegenheit, substantiiert anhand der Einzelfälle die Notwendigkeit der von ihr zur Abrechnung eingereichten Laborleistungen für die Notfall-Erstversorgung darzulegen.
Die Klägerin trug zur Begründung ihrer Widersprüche unter Datum vom 21. November 2014 vor, eine Kernaufgabe der interdisziplinären Notaufnahme sei die Sicherstellung einer unverzüglichen Notfalldiagnostik: EKG, Labor, Sonographie, Echoröntgen, CT, Endoskopie. Auch betonten einzelne Fachgesellschaften die Notwendigkeit von Labordiagnostik in der Notaufnahme. Beispielhaft nenne die Deutsche Gesellschaft für Neuro...