Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Unfallkausalität. Krankheitsanlage. Konkurrenzursache. innere Ursache. Beweislast. wesentliche Mitursache. Schwindel aufgrund ungeklärter Krankheit. Ohnmacht. betriebsspezifisches Risiko. nicht arretierter Schreibtischrollcontainer. Sturz auf Dienstzimmerboden
Leitsatz (amtlich)
1. Die objektive Beweislast für das Vorliegen der medizinischen Anknüpfungstatsachen für eine innere Ursache trägt der Unfallversicherungsträger.
2. Auch ein sich tatsächlich auswirkendes Symptom (hier: Schwindel) einer im Einzelnen nicht geklärten Krankheit im medizinischen Sinne kann einen regelwidrigen körpereigenen Vorgang darstellen, der als nichtversicherte Wirkursache bei der Beurteilung der Unfallkausalität zu berücksichtigen ist.
3. Ein nicht arretierter Schreibtischrollcontainer stellt eine besondere Beschaffenheit der Betriebsstätte, dh ein betriebsspezifisches Risiko dar, das soweit es für Art und Schwere eines Unfallereignisses wesentlich ist trotz einer bestehenden inneren Ursache zur Annahme der Unfallkausalität führen kann.
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 31. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines am 16. Oktober 2008 erlittenen Unfalls als Arbeitsunfall nach dem Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII).
Der 1964 geborene Kläger ist Biologe und war zum Zeitpunkt des Unfallereignisses als Laborleiter im Tumorvakzinationszentrum des Klinikums der D. Universität D-Stadt beschäftigt. Am 16. Oktober 2008 befand sich der Kläger gegen 10:30 Uhr in seinem Büro, um Daten in den PC einzugeben. Als er nach Abschluss dieser Arbeit von seinem Schreibtisch aufstand, um zu dem in einem anderen Raum befindlichen Labor zu gehen, wurde ihm nach eigenen Angaben nach wenigen Schritten schwindlig. Bei dem Versuch, sich mit der rechten Hand auf einem im Büro befindlichen, unter dem dortigen Waschbecken stehenden Schubladenrollcontainer abzustützen, rutschte dieser weg, der Kläger stürzte zu Boden und blieb für einige Minuten bewusstlos liegen. Beim Sturz zerbrach ein Brillenglas des Klägers und perforierte die linke Hornhautlinse. Der Kläger bemerkte, nachdem er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, eine deutliche Visusreduktion links und wurde daher zur notfallmäßigen Versorgung in die Augenklinik der D. Universität D-Stadt verbracht. Dort erfolgten noch am Unfalltag eine Hornhautnaht und eine Linsenabsaugung. Im Rahmen weiterer Operationen wurden am 3. März 2009 die Hornhautnaht und am 20. August 2009 der Hornhautfaden entfernt. Am 21. April 2010 erfolgte eine Hornhauttransplantation (Keratoplastik). Die zur Abklärung der Synkope veranlasste internistische und neurologische Untersuchung ergab keinen Befund.
Mit Schreiben vom 8. April 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer “Unfallrente„ für die Folgen des Ereignisses vom 16. Oktober 2008, da er seit dem Unfall nur noch mit einem Auge sehen könne und er durch diesen Verlust des räumlichen Sehens seine vor dem Unfall ausgeübte Tätigkeit habe aufgeben und sich beruflich neu orientieren müssen. Er fügte seinem Antrag den Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales E-Stadt vom 31. März 2010 über die Zuerkennung eines Grades der Behinderung von 30 für eine beidseitige Sehbehinderung bei.
Die Beklagte veranlasste im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung eine augenärztliche Begutachtung des Klägers durch Prof. Dr. E. - Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums E-Stadt und A-Stadt (Gutachten vom 24. September 2010). Der Gutachter diagnostizierte bei dem Kläger eine Aphakie (Linsenlosigkeit) nach erfolgter Hornhauttransplantation und eine hierdurch bedingte Aufhebung des räumlichen Sehens sowie ein deutlich reduziertes Sehvermögen auf dem linken Auge. Diese Beeinträchtigungen seien in ihrer Gesamtheit ursächlich auf das Ereignis vom 16. Oktober 2008 zurückzuführen. Die MdE betrage 25 v. H. für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis voraussichtlich Ende 2011.
Im Anschluss zog die Beklagte die Behandlungsberichte der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikum E-Stadt und A-Stadt GmbH bei und befragte den behandelnden Arzt und vorherigen Gutachter des Klägers - Prof. Dr. E. - zum Heilungsverlauf. Dieser teilte am 25. März 2011 mit, dass die Heilbehandlung noch nicht beendet sei. Erst nach dem Zug des zweiten Hornhautfadens und einer ggf. noch durchzuführenden Implantation einer torischen Intraokularlinse sowie der eventuell vorzunehmenden Entfernung der hinteren Linsenkapsel könne über ein endgültiges Untersuchungsergebnis berichtet werden. Hinsichtlich der MdE-Einschätzung ergebe sich bis dato keine Änderung.
Des Weiteren befragte die Beklagte die Universitätsmedizin D-Stadt der D. Universität zum Arbeitsverhältnis des Klägers. Die zuständige Abteilung Personalservic...