Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuordnung der Kindererziehungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung zur Mutter, wenn sich keine überwiegende Erziehung eines Elternteils feststellen lässt. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Auch nach der zum 1.1.2019 geänderten Textfassung des § 56 Abs 2 S 8 bis 10 SGB 6 sind Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung allein der Mutter zuzuordnen, wenn sich ein überwiegender Erziehungsanteil eines Elternteils nicht im erforderlichen Beweisgrad feststellen lässt und die Elternteile keine übereinstimmende Erklärung zur Kindererziehung abgegeben haben.
2. Die sich aus § 56 Abs 2 S 9 SGB 6 ergebende und im Zweifel die Mutter bevorzugende Regelung nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 9. März 2020 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten.
Der 1958 geborene Kläger und seine frühere Partnerin, D. K. (geboren 1974; Versicherungsnummer: X.1), sind Eltern einer gemeinsamen Tochter E., die 2001 in Deutschland geboren wurde. Der Kläger lebt seit 1993 in Deutschland und ist deutscher Staatsangehöriger (Einbürgerungsurkunde vom 22. November 2001). Die Mutter war 1999 nach Deutschland hinzugezogen, hat die Familie am 10. November 2008 verlassen und lebt seitdem vom Kläger dauerhaft getrennt. Ausweislich der Meldetaten aus Deutschland zog die Mutter am 10. November 2008 aus der gemeinsamen Wohnung aus und nach C-Stadt um. Sie meldete sich von dort am 18. April 2009 nach Georgien ab. Ausweislich des Versicherungsverlaufes der Mutter war diese vom 1. September 1999 bis 15. Juni 2001 und vom 1. Mai 2007 bis 31. März 2009 geringfügig, nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Ihr aktueller Aufenthalt ist unbekannt.
Seit 10. November 2008 erzieht der Kläger das Kind E. allein. Für die Zeit ab 10. November 2008 sind Kinderberücksichtigungszeiten im Versicherungskonto des Klägers vorgemerkt. Im vorhergehenden Zeitraum ab Geburt des Kindes arbeitete der Kläger in Vollzeit als Busfahrer.
Am 28. April 2017 beantragte der Kläger die Vormerkung von Kindererziehungs- und -berücksichtigungszeiten vom 19. Juli 2001 bis 9. November 2008 zu seinem Versicherungskonto. In dem Antragsformular gab der Kläger an, dass er im Zeitraum vom 19. Juli 2001 bis 9. November 2008 das Kind gemeinsam mit dem anderen Elternteil erzogen habe. Er habe jedoch das Kind überwiegend erzogen.
Mit Bescheid vom 25. September 2017 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die streitgegenständliche Zeit könne weder als Kindererziehungs- noch als Kinderberücksichtigungszeit anerkannt werden, weil sie weder nachgewiesen noch ausreichend glaubhaft gemacht worden sei. Eine überwiegende Erziehung durch den Kläger habe nicht vorgelegen, da dieser Vollzeit gearbeitet habe. Für die Zeit ab 10. November 2008 seien Kinderberücksichtigungszeiten vorgemerkt.
Hiergegen erhob der Kläger am 9. Oktober 2017 Widerspruch unter Verweis auf einen Beschluss des Amtsgerichts Darmstadt vom 10. Februar 2011, wonach die elterliche Sorge der Mutter ruhe. Er trug weiter vor, die Mutter seiner Tochter sei im streitgegenständlichen Zeitraum immer wieder abwesend gewesen. Auf Rückfrage der Beklagten teilte der Kläger mit, dass er seine Arbeitszeiten so organisiert habe, dass er nachmittags nicht mehr habe arbeiten müsse. Nach der Schule sei seine Tochter allein nach Hause gekommen. Zum Teil, insbesondere in den Ferien, habe der Kläger sie mit zur Arbeit genommen. Er habe seine Tochter zum Kindergarten gebracht, die Mutter habe sie abgeholt. Der Kläger legte Unterlagen vor, aus denen sich ergibt, dass der Kläger im Jahr 2009 zwecks Betreuung seiner Tochter Verhandlungen mit seinem Arbeitgeber über die zeitliche Verteilung seiner Dienste geführt hatte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Eine übereinstimmende Erklärung des Klägers und der Kindesmutter über die Zuordnung von Erziehungszeiten liege nicht vor. Es komme daher darauf an, ob der Kläger seine Tochter überwiegend erzogen habe. Eine überwiegende Erziehung durch den Kläger sei seit dem Auszug der Kindesmutter aus der gemeinsamen Wohnung am 10. November 2008 anzunehmen. Für die Zeit davor habe der Kläger den Nachweis nicht erbringen können. Der Kläger sei durchgängig berufstätig gewesen, während die Kindesmutter überwiegend nicht berufstätig gewesen sei. Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen über die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber beträfen nicht den strittigen Zeitraum. Der Kläger selbst habe angegeben, dass die Kindesmutter das Kind vom Kindergarten abgeholt habe und während der berufsbedingten Abwesenheitszeit zu Hause gewesen se...