Entscheidungsstichwort (Thema)
gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. innerer Zusammenhang. keine geringfügige Unterbrechung. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Aufhalten eines wegrollenden privaten Pkws
Leitsatz (amtlich)
Wird die versicherte Tätigkeit unterbrochen, um einen wegrollenden privaten Pkw aufzuhalten, so liegt keine geringfügige Unterbrechung vor, die trotz privater Verrichtung den Versicherungsschutz bestehen lässt.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 30. September 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall streitig.
Der 1957 geborene Kläger war bei der Firma Elektrotechnik C. in H-Stadt/U-Stadt als Montageelektriker beschäftigt. Nach der Unfallanzeige seines Arbeitgebers vom 2. September 2002 stellte der Kläger am 8. April 2002 vor Arbeitsbeginn sein Fahrzeug vor der Werkstatt seines Arbeitgebers ab, um den Müllcontainer vor die Tür zu stellen. Nach Verlassen des Fahrzeugs habe der Kläger bemerkt, dass sich dieses rückwärts in Bewegung gesetzt habe. Er habe versucht, das Fahrzeug aufzuhalten und sei dabei zwischen seinem Pkw und einem an der Straße abgestellten Wohnmobil eingeklemmt worden. Der Unfall habe sich um 6:45 Uhr ereignet, Beginn der Arbeitszeit sei 7:00 Uhr gewesen. Der Durchgangsarzt Dr. H., DA.Kliniken, diagnostizierte am 11. April 2002 eine geschlossene Quetschverletzung des linken Armes mit dislozierter Ulnafraktur sowie ein drohendes Kompartement.
Der Kläger gab am 7. Mai 2002 gegenüber der Beklagten an, dass er seinen Pkw vor die Werkstatt seines Arbeitgebers gestellt habe und kurz in die Werkstatt gegangen sei, um den Müll-Container vor die Tür zu stellen. Beim Verlassen habe er bemerkt, dass sich der Pkw, trotz eingelegten Gangs, in Bewegung gesetzt und rückwärts die abschüssige Straße in Richtung eines geparkten Wohnmobils heruntergerollt sei. Um einen Zusammenstoß beider Fahrzeuge zu verhindern, sei er hinter den Pkw gelaufen und habe versucht, ihn mit seiner Armkraft aufzuhalten. Der Pkw sei jedoch zu schwer gewesen und habe seine linke Körperhälfte gegen das Wohnmobil gequetscht. Der Unfall habe sich gegen 7:00 Uhr ereignet.
Mit formlosem Bescheid vom 1. Oktober 2002 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, die unfallbringende Tätigkeit habe der Kläger aus eigenwirtschaftlichen Gründen durchgeführt. Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass sowohl die Fahrt als auch das Herausstellen des Müllcontainers betrieblich veranlasst gewesen seien. Sein Arbeitgeber habe ihn damit beauftragt, vor der Fahrt zu seinem Büro (W-Straße , H-Stadt/U-Stadt) den in den Werkstatträumen befindlichen Müllcontainer vor die Werkstatt (L-Straße, H-Stadt/U-Stadt) zu stellen. Als Beleg hierfür legte er dessen Schreiben vom 18. Oktober 2002 vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die unfallbringende Tätigkeit dem privaten Bereich zuzurechnen sei. Der Kläger habe seine betriebliche Tätigkeit (das Herausstellen des Müllcontainers) zur Durchführung einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit (dem Sichern seines Pkws) unterbrochen. Entferne sich ein Versicherter zu einer privaten Zwecken dienenden Verrichtung von seinem Arbeitsplatz und verunglücke dabei, so bestehe kein innerer Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit. Die Handlungstendenz des Klägers zum Unfallzeitpunkt habe nicht darin gelegen, den betrieblichen Interessen zu dienen, sondern vielmehr der Sicherheit seines wegrollenden Pkws.
Mit Klage vom 24. Februar 2003 verfolgte der Kläger sein Begehren vor dem Sozialgericht Gießen (SG) weiter. Der Unfall habe sich im Rahmen der betrieblich veranlassten Tätigkeit des Klägers ereignet. Die kurzfristige eigenwirtschaftliche Tätigkeit - die Sicherung des eigenen Fahrzeugs - trete vorliegend vollständig in den Hintergrund. Der Fall sei vergleichbar mit den Fällen zum sogenannten “dritten Ort„, für die anerkannt sei, dass auch eigenwirtschaftlichen Verrichtungen dienende Fahrten unter den Versicherungsschutz fallen, wenn dadurch die Länge des Weges insgesamt in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblicherweise zur Arbeitsstätte zurückgelegten Weg stehe. Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, dass der Unfall sich nicht ereignet hätte, wenn der Kläger sein Fahrzeug ordnungsgemäß gegen ein Wegrollen gesichert hätte, da selbst bei vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung der Versicherungsschutz nicht ausgeschlossen sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 30. September 2005 hat der Kläger angegeben, dass es sich bei der Firma Elektrotechnik C. um einen normalen Elektrikerbetrieb handele und sie häufig auf Montage gewesen seien. Zu den Baustellen seien sie entweder mit einem Firmenwagen oder aber auch ...