Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlegung des Verhandlungstermin. Nachweis der Verhandlungsunfähigkeit. medizinische Rehabilitation. Anspruch auf einzeltherapeutische Maßnahmen. Stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Gefährdung der Erwerbsfähigkeit. Psychische Erkrankung. Rehabilitationseinrichtung. Therapiekonzept. Gruppentherapie. Pflichtgemäßes Ermessen. Eingeschränkte gerichtliche Kontrolle. Ermessensreduzierung auf Null. Neubescheidung
Leitsatz (redaktionell)
Hat der Versicherte einen Anspruch auf stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, steht die Auswahl der Rehabilitationseinrichtung grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Rehabilitationsträgers. Eine Reduzierung des Ermessens auf eine bestimmte Einrichtung oder ein bestimmtes Therapiekonzept (hier: Einzeltherapie) kommt nur in Betracht, wenn ausschließlich dort und auf diese Weise ein Rehabilitationserfolg zu erwarten ist.
Orientierungssatz
1. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Vorlage bei einer Krankenkasse mit verschlüsseltem Diagnosenachweis ist für den Nachweis einer Verhandlungs- bzw Reiseunfähigkeit nicht ausreichend (vgl BFH vom 16.7.2012 - III B 1/12).
2. Ein Anspruch auf Gewährung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation unter ausschließlicher Erbringung einzeltherapeutischer Maßnahmen besteht nicht, wenn der Ermessensspielraum des Rentenversicherungsträgers vorliegend nicht soweit verdichtet ist, dass nur eine Rehabilitationsmaßnahme in dieser speziellen Durchführungsform in Betracht kommt.
Normenkette
SGB X §§ 9, 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1, § 13 Abs. 1 S. 1, § 15 Abs. 2-3; SGB IX § 9 Abs. 1; SGB I § 39 Abs. 1; SGG § 54 Abs. 2 S. 2
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 27. Oktober 2011wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI)
Der 1957 geborene Kläger beantragte am 5. November 2009 auf Anregung der ihn behandelnden Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie QW. unter Verweis auf einen Erschöpfungszustand, Konzentrationsmängel, Schlafstörungen und Dauerkopfschmerzen die Gewährung von stationären Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Zur Unterstützung seines Begehrens fügte er dem Antrag weitere Krankenunterlagen und einen Bericht von der Fachärztin QW. vom 30. Oktober 2009 bei, ausweislich dessen der Kläger unter einer somatoformen Störung mit chronifizierter Kopfschmerzsymptomatik, einem depressiven Syndrom und einem Diabetes mellitus Typ II mit metabolischem Syndrom leide. Bei bereits langem Krankenstand und zunehmendem sozialen Rückzug sei der Kläger kaum noch in der Lage, seine selbständige Tätigkeit als Steuerberater auszuüben.
Auf dieser Grundlage bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 12. November 2009 eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation für die Dauer von 6 Wochen in der ER. Klinik TZ. Als voraussichtlichen Maßnahmebeginn gab die Beklagte die 49. Kalenderwoche 2009 an.
Hiergegen erhob der Kläger am 18. November 2009 Widerspruch mit der Begründung, bei der von der Beklagten ausgewählten Einrichtung handele es sich um eine psychsomatische Klinik in der u. a. Gruppentherapien durchgeführt werden. Diese Therapieform lehne er angesichts der Erfahrungen im Rahmen von zwei früheren Rehabilitationsmaßnahmen ab. Zudem sei sowohl der für die Maßnahme gewählte Ort als auch der Zeitpunkt für die Behandlung depressiver Erkrankung ungeeignet. In Anbetracht der seit Jahrzehnten bestehenden bronchialen Probleme sei vielmehr eine Rehabilitationsmaßnahme unter reizklimatischen Verhältnissen (See/Berge) angezeigt. Aufgrund anderweitiger terminlicher Verpflichtungen könne er die Maßnahme ohnehin nicht vor Ende Januar 2010 antreten.
Nach einer Benachrichtigung des Klägers durch die ER. Klinik TZ. über den Beginn der Rehabilitationsmaßnahme am 2. Februar 2010 teilte der Kläger mit, er werde die Maßnahme wegen der beabsichtigten gruppentherapeutischen Behandlung nicht antreten und stehe im Übrigen aufgrund anderweitiger Verpflichtungen frühestens Mitte April 2010für eine Rehabilitationsmaßnahme zur Verfügung.
Die Beklagte wies daraufhin den klägerischen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 8. März 2010 mit der Begründung zurück, die vom Kläger gewünschte Behandlungsform falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten, weil die Gruppentherapie in Kliniken der Deutschen Rentenversicherung Bund zum Therapie- und Rehabilitationskonzept gehöre. Daher sei die Forderung des Klägers nach ausschließlicher Einzeltherapie nicht umsetzbar.
Der Kläger erhob daraufhin am 30. März 2010 Klage vor dem Sozialgericht Kassel und machte geltend, dass die von der Beklagten bewilligte Maßnahme gruppentherapeu...