Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Erstattung von vorläufig gezahlten Sozialleistungen gegenüber einem anderen Träger. Zuständigkeitsklärung. Maßgeblichkeit der materiell-rechtlichen Zuständigkeit bei Kostentragung. Überprüfung von Ermessen im Erstattungsverfahren. offensichtliche Fehlerhaftigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Leistungsgewährung durch den erstangegangenen Träger nach § 43 SGB 1 ist im Anwendungsbereich des § 14 SGB 9 dann nicht ausgeschlossen, wenn - wie hier - einer der beteiligten Träger, die Regelung des § 14 SGB 9 missachtet.
2. Ein Streit im Sinne des § 43 SGB 1 über die Zuständigkeit zwischen Trägern entfällt nicht endgültig, wenn die Zuständigkeitsregelung des § 14 SGB 9 eingreift.
3. Ein Erstattungsanspruch kann sich dann aus § 102 SGB 10 ergeben.
Orientierungssatz
Im Erstattungsverfahren ist eine Überprüfung der Ermessenserwägungen durch den erstattungspflichtigen Träger nur eingeschränkt zulässig. Es verbleibt die Überprüfung der Ermessensentscheidung auf offensichtliche Fehlerhaftigkeit (vgl BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 78/77 = BSGE 45, 290 = SozR 2200 § 567 Nr 1).
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 25. November 2011 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 69.134,50 Euro zu zahlen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten in Höhe von 69.134,50 Euro für eine von dem Kläger finanzierte Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit für einen Hilfeempfänger des Beklagten vom 01. März 2007 bis 30. Juni 2009.
Der Betroffene, Q., durchlief vom 01. März 2007 bis 30. Juni 2009 eine Ausbildung des Vereins für XY. e. V. (XY.) zum Bürokaufmann, die er erfolgreich abschloss. Er war zuvor suchtmittelabhängig gewesen und hatte Entzugsmaßnahmen abgeschlossen. Aus einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit vom 23. Juli 2007 ergibt sich, dass der Betroffene seit einem Jahr den Drogenkonsum eingestellt hatte und regelmäßige Gespräche bei der Drogenberatungsstelle wahrnehme. Er beantragte über den XY. am 09. Februar 2007 die Kostenübernahme für die Maßnahme. Der XY. beschreibt die Maßnahme wie folgt: Sie richtet sich an schwerstvermittelbare Jugendliche und junge Erwachsene, die insbesondere aufgrund von früherer Drogenabhängigkeit, Sozialisationsschwierigkeiten oder (stabiler) Substitution nur schwer auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar sind. Die Ausbildung zum Bürokaufmann wurde und wird in einer Übungsfirma des XY., ZZ., durchgeführt. Diese arbeitet nach kaufmännischen Gegebenheiten und rechtlichen Notwendigkeiten mit anderen Übungsfirmen zusammen. Die Übungsfirma arbeitet praxisersetzend und ist berufspraktischer Bestandteil der Ausbildung in der beruflichen Rehabilitation. Die Ausbildung wird ergänzt durch Praktika in den einzelnen Fachabteilungen des Vereins und durch betriebsinternen Unterricht. Zur Umsetzung der pädagogischen Ziele während der Ausbildung fanden folgende Methoden und Mittel Anwendung: Eingangsstufe, Gruppengespräche, Einzelgespräche, Lehrlingsversammlung, Arbeit mit Bezugspersonen, Hilfeangebot in schwierigen Lebenslagen, betriebsinterner Unterricht, Freizeitangebote. Die Kosten der Maßnahme umfassten Fahrtkosten, Ausbildungskosten und Sozialversicherungsbeiträge. Es handelte sich um eine teilstationäre Leistung. Der Betroffene bezog zum Zeitpunkt der Antragstellung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes vom Beklagten nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II); Leistungen zur Eingliederung in Arbeit wurden nicht gewährt.
Nachdem der Antrag des Betroffenen bei dem Kläger am 09. Februar 2007 einging, kam dieser zu dem Ergebnis, dass er für die Maßnahmegewährung seit Einführung des SGB II nicht mehr zuständig sei. Er leitete daher den Antrag an den Beklagten weiter. Dieser teilte mit Schreiben vom 02. August 2007 mit, dass er seiner Auffassung nach für die Gewährung dieser Maßnahme nicht zuständig sei und leitete den Antrag an die Bundesagentur für Arbeit weiter. Diese gewährte dem Kläger Berufsausbildungsbeihilfe ab Juli 2007, welche der Beklagte auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes anrechnete. Die Übernahme der Kosten für die Maßnahme lehnte die Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem Beklagten ab.
Der Kläger erinnerte den Beklagten mehrfach hinsichtlich der Übernahme der Kosten für die vom Betroffenen begehrte Maßnahme. Der Beklagte reagierte zunächst nicht und teilte am 02. August 2008 mit, dass es sich nicht um einen Reha-Fall handele und er den Fall eingestellt habe.
Der Kläger erklärte mit Bescheid vom 03. September 2007 die Kostenübernahme nach § 43 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I), um Nachteile für den Betroffenen zu vermeiden. Zugleich wurde bei dem Beklagten ein Kostenerstattungsanspruch angemeldet. Mit Schreiben vom 09. Okto...