Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 30. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungs-verfahrens unter Einschluss der dem Kläger zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Regresses i.H.v. 4.810,50 € aufgrund einer Einzelfallprüfung der Gebührenordnungsposition (GOP) 23220 (Psychotherapeutisches Gespräch als Einzelbehandlung) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) 2011.
Der Kläger ist seit dem 8. April 1996 als psychologischer Psychotherapeut in A-Stadt unter der BSNR 42 69 855 niedergelassen und nimmt seitdem an der vertragspsychotherapeutischen/-ärztlichen Versorgung teil.
Mit Schreiben vom 22. Januar 2014 informierte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (PS) den Kläger über die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung bezüglich der Quartale I/2011 bis IV/2011 bezogen auf die GOP 23220 EBM und erbat die Mitteilung eventuell bestehender Praxisbesonderheiten und kompensatorischer Einsparungen. Im Quartal I/2011 betrage die Überschreitung + 185,38 %, im Quartal II/2011 liege die Überschreitung bei + 168,08 %, im Quartal III/2011 ergebe sich eine Überschreitung von + 147,57 % und die Überschreitung habe im Quartal IV/2011 bei + 109,22 % - jeweils im Verhältnis zur maßgeblichen Fach-/Vergleichsgruppe der vollzugelassenen psychologischen Psychotherapeuten - gelegen. Zur Begründung der Überschreitungen wies der Kläger in seiner Stellungnahme vom 1. Februar 2014 darauf hin, dass er schwerpunktmäßig mit chronisch kranken Patienten, vornehmlich Schmerzpatienten, und multimorbid erkrankten Menschen arbeite. Bei dieser Klientel sei, auch nach erfolgreichem Abschluss einer Behandlung, die Notwendigkeit einer niederfrequenten psychotherapeutischen Grundversorgung gegeben, um zeitnah Krisen abfangen zu können und dadurch Kosten einzusparen. Die in den Psychotherapie-Richtlinien (PT-RL) festgelegten Stundenkontingente für Verhaltenstherapie seien nicht für die Behandlung von multimorbiden chronischen Erkrankungen ausgelegt. Derartige Störungen könnten nicht in max. 60 Sitzungen geheilt werden. Die multimodale interdisziplinäre Behandlung erfordere einen längeren Betreuungshorizont. Hier biete die GOP 23220 EBM ihm folgende Möglichkeiten:
- Nach einer erfreulich verlaufenen ambulanten Therapie von 25 oder 45 Sitzungen könne er den Patienten durch die Übernahme in die psychotherapeutische Grundversorgung ein niederschwelliges Angebot machen, das helfe, evtl. Krisen zu überbrücken und stabil zu bleiben. Der Erfolg zeige sich besonders deutlich in der Verringerung der notwendigen Medikamente, weniger Krankenhausaufenthalten, weniger Arztbesuchen und besserer Bindung an die Behandler (Vermeidung von doctor hopping).
- Wenn im Rahmen der probatorischen Sitzungen keine Indikation zu einer ambulanten Psychotherapie gestellt werden könne (z.B. Motivationslage, zu geringe Erfolgsaussichten), trotzdem aber eine behandlungsbedürftige Störung mit entsprechenden Leidensdruck vorliege, dann biete die Übernahme in die Grundversorgung die Möglichkeit zur Informierung über Behandlungsalternativen und Motivierung des Patienten. Nicht selten könnten auf diesem Weg Patienten doch noch einer zielführenden Behandlung zugeführt werden.
Insgesamt bitte er um Anerkennung, dass der statistische „Gipfel“ der Anzahl der abgerechneten Gesprächsziffern 23220 EBM im Jahre 2011 nicht aus einem inflationären unkritischen Abrechnungsverhalten folge, sondern aus folgendem resultiere: dem durchschnittlichen Abrechnungsverhalten der Vergleichspraxen, den absoluten Fallzahlen pro Quartal und Praxis der Vergleichspraxen, seiner „Spezialisierung“ auf bestimmte Diagnosegruppen, dem veränderten Überweisungsverhalten der ärztlichen Kollegen, der zunehmenden Akzeptanz psychotherapeutischer Leistungen in der Öffentlichkeit, der verbesserten regionalen Vernetzung und dem steigenden Anteil von chronisch und multifaktoriell Erkrankten in der Gesellschaft.
Die PS stellte eine Überschreitung bei den Ansätzen der GOP 23220 EBM im Vergleich zur Fachgruppe (FG) im Umfang eines so genannten „offensichtlichen Missverhältnisses“ fest (Fallzahl der Praxis 99 - 101 über dem FG-Durchschnitt der vollzugelassenen psychologischen Psychotherapeuten 45 - 46) und beauftragte unter dem 14. März 2014 eine Prüfreferentin, eine psychologische Psychotherapeutin, mit der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit des Ansatzes der GOP 23220 EBM im streitgegenständlichen Zeitraum (Übergang von der statistischen Vergleichsprüfung zur eingeschränkten Einzelfallprüfung). Die Prüfreferentin führte aus, dass sie tiefenpsychologisch fundiert arbeite und ihre Prüfungstätigkeit nur aus dieser Sicht habe vornehmen können. Es erscheine ihr grundsätzlich sinnvoller, für die Prüfu...