Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzneimittelkostenregress. Statistische Vergleichsprüfung nach Durchschnittswerten. Praxisbesonderheiten. Spezifische Immuntherapie. Gebot der Wirtschaftlichkeit. Schätzung. Fallkosten des Arztes. Anscheinsbeweis. Mehraufwand. Verordnungskostenwert. Untersuchungsgrundsatz. Amtsermittlungsgrundsatz. Spruchreife. Bescheidungsurteil. Neubescheidung. Regressbetrag. Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung der Arzneimittelverordnungen. statistische Vergleichsprüfung. Durchschnittswerte. niedergelassener Vertragsarzt. Hals-Nasen-Ohnrenheilkunde mit Zusatzbezeichnung Allergologie. spezifische Immuntherapie (SIT). ambulante operative Tätigkeit. kompensatorische Einsparungen

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Beklagte hat den durch die Praxisbesonderheiten verursachten Aufwand zu ermitteln, um beurteilen zu können, inwieweit die Fallkosten des Arztes dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entsprechen.

 

Orientierungssatz

1. Praxisbesonderheiten, soweit sie nicht offenkundig oder erkennbar sind, müssen von dem Arzt auf der ersten Verfahrensstufe geltend gemacht werden und sind auch ausschließlich dort zu berücksichtigen. Ob ein offensichtliches Missverhältnis im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung besteht, ergibt sich nach Feststellung dieser Praxisbesonderheiten.

2. Der Feststellung eines offensichtlichen Mißverhältnisses kommt praktisch die Wirkung eines Anscheinsbeweises zu. Sind kostenerhöhenden Praxisbesonderheiten bekannt oder anhand der Behandlungsausweise oder der Angaben des Arztes erkennbar, so müssen ihre Auswirkungen bestimmt werden, ehe sich auf der Grundlage der statistischen Abweichungen eine verläßliche Aussage über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise treffen läßt (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 1994 - 6 RKa 18/92).

3. Im Rahmen von Regressen bei Arzneimittelverordnungen bedarf es der Hinzuziehung der erweiterten Arzneimitteldateien der Krankenkassen. Die erweiterten Arznei- und Heilmitteldateien der Krankenkassen sind nicht erst auf Antrag, sondern von Amts wegen beizuziehen und von den Prüfgremien selbst auf ihre Schlüssigkeit hin zu überprüfen, um insoweit ihren Amtsermittlungspflichten zu genügen (Aufrechterhaltung Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. Mai 2007 - L 4 KA 31/06).

 

Normenkette

SGG §§ 103, 153 Abs. 2, § 197a; SGB X § 20 Abs. 1-2; VwGO § 154 Abs. 2-3, § 162 Abs. 3; GKG § 63 Abs. 2 S. 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 4.772,12 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Arzneimittelkostenregresse im Wege der statistischen Vergleichsprüfung nach Durchschnittswerten für die Quartale I/98 bis IV/98.

Der Kläger betreibt in A-Stadt/T. als niedergelassener Vertragsarzt eine Praxis für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde. Der Kläger führt die Zusatzbezeichnung Allergologie. Die Gesamt-Fallzahlen seiner Praxis lagen in den streitigen Quartalen zwischen 1,05 % und 16,16 % über dem Durchschnitt der Gesamt-Fallzahlen der Praxen der Fachgruppe der Ärzte für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde in Hessen, der Rentneranteil lag demgegenüber zwischen 23,08 % und 33,33 % unter diesem Durchschnitt. Die veranlassten physikalisch-therapeutischen Leistungen lagen teils unter dem Durchschnitt, teils über dem Durchschnitt. Bei den Krankenhauseinweisungen wurden die Durchschnittswerte deutlich unterschritten, bei den Arbeitsunfähigkeitsfällen ergaben sich überwiegend Unterschreitungen. Die Gesamthonorarforderungen pro Fall lagen zwischen 20 % und 36 % über dem Durchschnitt der Fachgruppe.

Bei den Arzneikosten ergibt sich folgendes Bild:

Quartal

Kosten pro Fall in DM

Abweichung

Kläger

Fachgruppe

in DM

in %

1/98

36,77*

15,26

+ 21,51

+ 141

2/98

40,21*

14,82

+ 25,39

+ 171

3/98

35,35*

14,99

+ 20,36

+ 136

4/98

43,72*

17,70

+ 26,02

+ 147

* = Gesamt gewichtet

Bezogen auf die engere Vergleichsgruppe der HNO-Ärzte mit Zusatzbezeichnung Allergologie ergibt sich folgendes Bild:

Quartal

Kosten pro Fall in DM

Abweichung

Kläger

Fachgruppe

in DM

in %

1/98

36,77*

16,39

+ 20,38

+ 124

2/98

40,50*

16,82

+ 23,68

+ 141

3/98

35,48*

15,92

+ 19,56

+ 123

4/98

43,99*

20,36

+ 23,63

+ 116

* = Gesamt gewichtet

Die Verbände der Krankenkassen in Hessen beantragten am 27. April 1999 (Quartal I/98), am 22. Juni 1999 (Quartal II/98), am 9. September 1999 (Quartal III/98) und am 23. Dezember 1999 (Quartal IV/98) die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Arzneiverordnungsweise des Klägers. Mit Bescheid vom 22. März 2000 wies der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Frankfurt/Main (im Folgenden: Prüfungsausschuss) den Prüfantrag bezüglich des Quartals I/98 wegen Fristversäumnis zurück. Dagegen legten die Verbände der Krankenkassen in Hessen am 11. April 2000 Widerspruch ein.

Im Rahmen der durchgeführten Anhörungen wies der Kläger in mehreren im Wese...

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