Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2101. Krankheitsbild im Vollbeweis. diffuses Schmerzbild. andere Krankheitsbilder. ausschließende Differentialdiagnose. arbeitstechnische Voraussetzung. biomechanisch relevante Bewegungsabläufe. Rebschnitt im Weinbau
Leitsatz (amtlich)
1. Beim Rebschnitt im Weinbau fallen biomechanisch relevante Bewegungsabläufe an, die das Krankheitsbild einer Epicondylitis (Epicondylopathia) humeri ulnaris verursachen können.
2. Zum Vollbeweis einer Epicondylitis humeri ulnaris.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. März 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Epicondylitis humeri ulnaris als Berufskrankheit (BK) nach der Nummer 2101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) sowie Rente wegen der Folgen.
Nach ihrem Studium an der Gesamthochschule E-Stadt in der Zeit von 1978 bis 1981 war die Klägerin im Zeitraum November 1981 bis März 1982 als Betriebshelferin bei der Arbeitsgemeinschaft für Landwirtschaftliche Betriebs- und Haushaltshilfen F-Stadt tätig. Während dieser Zeit hatte sie bei der Herrichtung der Zuckermaise für die Vermarktung geholfen und dazu Maiskolben mit einer Gartenschere oben und unten zu kürzen. Im April 1982 bis Oktober 1983 schloss sich eine Ausbildung als Regierungslandwirtschaftsinspektorin beim Land G-Land an. Ab November 1983 war die Klägerin als Diplom-Ingenieurin in der landwirtschaftlichen Praxis tätig und führte von Februar 1987 bis Dezember 1996 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann selbständig einen ca. 80 ha großen landwirtschaftlichen Gutsbetrieb in H-Stadt mit mehreren Angestellten und einer umfassenden Direktvermarktung der Produkte. In dieser Zeit (von 1984 bis 1996) war sie jährlich von Anfang Juli bis Ende Oktober ganztags damit beschäftigt, Maiskolben mit einer Gartenschere oben und unten zu kürzen. Von 1999 bis Dezember 2005 war sie nebenberuflich selbständig mit einem Büroservice, bevor sie vom September 2002 bis Dezember 2004 in der Forschung im Ökolandbau bei der J. J-Stadt tätig war. Vom März 2005 bis März 2006 übte sie eine Tätigkeit im Regierungspräsidium I Stadt aus. Dem schloss sich nochmals eine Tätigkeit als Betriebshelferin für die Zeit vom November 2007 bis Mai 2010 beim Maschinenring K-Stadt an, wobei die Klägerin von Januar 2008 bis Mai 2010 (auch) beim Reb- und Baumschnitt eingesetzt war und dazu eine mechanische Rebschere von Hand bediente.
Die Klägerin beantragte am 30. März 2011 die Feststellung des Vorliegens einer Berufskrankheit. Im Rahmen ihres Einsatzes beim Rebschnitt in den Jahren 2008 bis Mai 2010 habe sie im Schnitt 8 und 9 Stunden täglich Reben geschnitten. Infolge dessen seien Beschwerden in ihrem Arm entstanden; die Schmerzen hielten bis heute bei allen Tätigkeiten an, die Kraft erforderten.
Die Beklagte holte Befundberichte der behandelnden Ärzte ein. Demnach war die Klägerin das erste Mal am 11. April 2008 wegen Beschwerden im rechten Arm beim Rebenschneiden in Behandlung bei Dr. L., der seinerzeit klinisch einen Druckschmerz über dem rechten Epicondylus radialis humeri erhob. Der Arzt teilte zudem mit, dass er die Klägerin in 2009 auch wegen des Verdachts auf eine rheumatoide Arthritis bei deutlich erhöhtem Rheumafaktor behandelt hatte (Bericht vom 29. April 2011). In dem chirotherapeutischen Befundbericht der Praxis Dres. M./N. werden unter dem 24. April 2008 pathologische Blockaden der Wirbelsäule und 1. Rippe beschrieben. Die Ärzte des Praxiszentrums O. & Coll. stellten die Diagnosen Karpaltunnelsyndrom und HWS-Schmerzen, auf die sie die Beschwerden der Klägerin zurückführen (Arztbriefe an Dr. L. vom 22. Juni 2009 und 30. Juni 2009). Dr. P. behandelte die Klägerin von Oktober 2010 bis März 2011 wegen des Verdachts auf Epicondylitis Tendomyesitis der Unterarmmuskulatur (Bericht vom 20. Mai 2011). Dr. Q. diagnostizierte in seinem Arztbrief an Dr. P. vom 17. Februar 2011 eine "Epicondylitis humeri radialis rechts", die er mit einer Stoßwellentherapie behandelte; in seinem Bericht an die Beklagte vom 10. Juni 2011 stellte er die Diagnose "Epicondylitis humeri ulnaris" rechts und beschrieb zudem Beschwerden der HWS ("chronisches HWS-Syndrom mit Ausstrahlung re Arm").
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten kam auf Grund der Angaben der Klägerin zu ihren Beschäftigungen sowie nach Auskünften der Arbeitgeber (landwirtschaftlicher Betrieb H-Stadt und Maschinenring K-Stadt) zu dem Ergebnis, dass die Arbeit bei der Maisbearbeitung über ein Jahrzehnt mit einer Handschere die größere Belastung gewesen sei. Der Einsatz der Klägerin beim Reb- und Baumschnitt unter Verwendung von mechanischen Scheren sei nach den Einsatzberichten des Maschinenrings K-Stadt insgesamt nur an 20 Tagen innerhalb der zwei Jahre und nur über wenige Tage im Jahr erfolgt. Damit sei diese Tätig...