Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. unangemessene Dauer eines Entschädigungsklageverfahrens. Entschädigungsklage. Zwölfmonatsregel. Warte- und Bearbeitungszeiten des Gerichts. Versendung und Beiziehung von Akten wegen zahlreicher Parallelrechtsstreite. Zeit der Akteneinsichtnahme. besondere Schwierigkeit bei nicht gefestigter Rechtsprechung. sozialgerichtliches Verfahren. Arbeitslosengeldbezug. kein Anspruchsübergang nach § 33 SGB 2 während des Klageverfahrens
Orientierungssatz
1. Auch ein Entschädigungsklageverfahren kann seinerseits Gegenstand einer (erneuten) Entschädigungsklage sein.
2. Dem Entschädigungsgericht steht für eine Entschädigungsklage ebenfalls eine grundsätzliche Überlegungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten zur Verfügung.
3. Warte- bzw Bearbeitungszeiten, die dadurch entstehen, dass das Ausgangsgericht durch zahlreiche Parallelrechtsstreite und Rechtsmittel des Klägers weitere Verfahrensakten vom Sozialgericht oder anderen Senaten des Landessozialgerichts beiziehen muss, um Fragen der Zuständigkeit und doppelten Rechtshängigkeit prüfen zu können, können nicht dem Ausgangsgericht angelastet, sondern müssen dem Verhalten des Klägers zugerechnet werden (so auch LSG Berlin-Potsdam vom 28.4.2016 - L 37 SF 159/14 EK AS).
4. Monate, in denen die Akten an den Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Akteneinsicht übersandt oder von ihm selbst Akteneinsicht genommen wird, sind ebenfalls keine dem Ausgangsgericht anzulastenden Verzögerungszeiten.
5. Eine Klageverfahren kann eine besondere Schwierigkeit aufweisen, wenn zur Beurteilung der Entscheidungskriterien noch nicht auf eine gefestigte Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann.
6. Die Vorschrift des § 198 Abs 5 S 3 GVG schließt den Anspruchsübergang nach § 33 SGB 2 bis zur rechtskräftigen Zuerkennung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer aus.
Tenor
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger wegen überlanger Dauer des vor dem Hessischen Landessozialgericht unter dem Aktenzeichen L 5 SF 19/13 EK AS geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 1.100,00 Euro zuzüglich Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 25. April 2018 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu einem Viertel, der Kläger zu drei Vierteln zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Entschädigung für die Dauer eines Entschädigungsklageverfahrens, das vor dem Hessischen Landessozialgericht geführt wurde.
In dem Ausgangsverfahren L 5 SF 19/13 EK AS machte der 1970 geborene Kläger eine Entschädigung für die Dauer des Verfahrens vor dem Hessischen Landessozialgericht mit dem Aktenzeichen L 6 AS 8/08 geltend. In diesem Rechtsstreit stritt der Kläger mit dem Kreisjobcenter des Landkreises Marburg-Biedenkopf um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Rahmen seines Leistungsbezugs nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Die am 5. Dezember 2007 gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Sozialgerichts Marburg (S 5 AS 82/05) eingelegte Berufung wies das Hessische Landessozialgericht mit Urteil vom 13. Juli 2011 zurück, soweit sie sich nicht durch Teilanerkenntnis des Kreisjobcenters erledigt hatte. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 25. August 2011 zugestellt. Die gegen das Urteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde mit Beschluss des Bundessozialgerichts vom 22. Juni 2012 (B 4 AS 18/12 B), der am 12. Juli 2012 per Post abgesandt wurde, als unzulässig verworfen.
Der Verlauf des Ausgangsverfahren L 5 SF 19/13 EK AS gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:
Der Kläger erhob per Fax am 18. Februar 2013 Klage und stellte einen Prozesskostenhilfeantrag. Die Klage wurde zunächst unter dem Aktenzeichen L 6 SF 16/13 EK AS geführt. Nach Prüfung der Vorbefassung wurde das Verfahren mit Verfügung vom 21. Mai 2013 vom 6. an den 5. Senat abgegeben. Mit Verfügung vom 20. Juni 2013 teilte der 5. Senat den Beteiligten das neue Aktenzeichen mit und forderte den Kläger zur Einreichung der PKH-Unterlagen auf. Nachdem der Beklagte zum PKH-Antrag Stellung genommen (Schriftsatz vom 10. Juni 2013) und der Kläger sämtliche PKH-Unterlagen eingesandt hatte (Eingang 21. November 2013), wurde ihm mit Beschluss vom 22. November 2013 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin D. bewilligt.
Der Beklagte erhob am 6. Dezember 2013 Anhörungsrüge bezüglich des PKH-Beschlusses vom 22. November 2012 und führte in seiner Begründung unter anderem aus, dass die Entschädigungsklage unzulässig weil verfristet sei.
Am 13. Dezember 2013 beantragte Rechtsanwältin D. Akteneinsicht, die ihr sodann gewährt wurde. Am 3. März 2014 gingen die Akten nach wiederholter Erinnerung der Prozessbevollmächtigten wieder bei Gericht ein.
Auf Nachfrage des Beklagten, ob es sich bei dem Verfahren L 5 SF 19/13 EK AS um ein isoliertes PKH-Verfahren mit Klageentwurf handele, teilte die Senatsvorsitzende mit S...