Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz. Entsendung gem Art 6 Abs 1 SozSichAbk TUR. Deutsch-türkisches Abkommen über Soziale Sicherheit. Auslegung gem § 4 Abs 1 SGB 4: fortbestehende Inlandsintegration bei vorübergehender Auslandsbeschäftigung. befristeter Arbeitsvertrag: keine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit Hauptleistungspflichten im Inland. keine innerstaatliche Bindungswirkung einer Entsendebescheinigung. offensichtliche Unrichtigkeit. falsche Angaben des inländischen Arbeitgebers. befristet angestellter Sportguide einer Sportreisen-GmbH in Deutschland. Hauptleistungspflicht ausschließlich im Ausland
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entsendung muss im Rahmen eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses im Inland erfolgen. Hierfür ist auch erforderlich, dass infolge der Eigenart der Beschäftigung feststeht oder von vornherein vereinbart ist, dass die Beschäftigung nach Beendigung der Entsendung bei dem entsendenden Arbeitgeber mit Hauptpflichten im Inland weitergeführt wird.
2. Die Entsendebescheinigung hat die Funktion, die Zuordnung zu einer Rechtsordnung zwischen zwei Staaten zu regeln. Im Hinblick darauf kann ihr auch im Verhältnis der Sozialversicherungsträger innerhalb des Entsendestaates keine weitergehende Bindungswirkung zukommen, als im Verhältnis zu dem Staat, in den der Arbeitnehmer entsandt wird. Dh es besteht auch im Verhältnis der Sozialversicherungsträger im selben Staat jedenfalls dann keine Bindungswirkung an die Entsendebescheinigung, wenn diese offensichtlich unrichtig ist.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten sich um die Anerkennung des Ereignisses vom 1. Mai 2015 als Arbeitsunfall.
Der Kläger war seit Sommer 2013 mehrmals zeitlich befristet bei der D. Sportreisen GmbH (im Folgenden: Arbeitgeberin) als Sportguide beschäftigt und war jeweils im Ausland für diese tätig. Zuletzt schloss er mit der Arbeitgeberin am 6. März 2015 einen befristeten Arbeitsvertrag vom 28. April 2015 bis einschließlich 14. Oktober 2015. Insoweit sollte der Kläger vom 28. April bis 25. Juli 2015 als Mountainbike-Guide in einem Sportclub in C-Stadt, Türkei, und vom 16. August bis 14. Oktober 2015 als Allrounder „Sport“ in einem Hotel in E-Stadt, Kroatien, eingesetzt werden. Das Beschäftigungsverhältnis sollte nach dem Vertrag zum angegebenen Termin enden, ohne dass es einer ausdrücklichen Kündigung bedürfte, und der Fortsetzung eines des Arbeitsverhältnisses nach Ende der Befristung wurde bereits mit Vertragsschluss ausdrücklich widersprochen (§ 1 des Arbeitsvertrages). Die von dem Kläger zu erbringenden Tätigkeiten wurden gem. § 2 des Arbeitsvertrages in Anlage 1 zum Vertrag fixiert und umfassten ausschließlich Aufgabenbereiche vor Ort, d. h. in der Türkei bzw. in Kroatien. Eine freiwillige Auslandsunfallversicherung nach § 140 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) wurde von der Arbeitgeberin für den Kläger nicht abgeschlossen.
Laut Unfallanzeige vom 4. Mai 2015 erlitt der Kläger am 1. Mai 2015 bei der Erkundung von Mountainbikestrecken in C-Stadt, Türkei, mit seinem Quad einen Sturz und brach sich das Schlüsselbein links. Der Kläger begab sich zur Behandlung in eine Privatklinik in H-Stadt; dort wurde er noch am Unfalltag operiert und am Folgetag entlassen.
Ebenfalls mit Schreiben vom 4. Mai 2015 kündigte die Arbeitgeberin den befristeten Arbeitsvertrag mit dem Kläger innerhalb der Probezeit zum 20. Mai 2015.
Die Beklagte übersandte das Formular „Bescheinigung über Anspruch auf Sachleistungen bei Arbeitsunfall oder Berufskrankheit während des Aufenthalts in der Türkei“ nach dem „Deutsch-türkischen Abkommen über Soziale Sicherheit“ (im Folgenden: DTSVA) - auf Wunsch des Klägers - direkt an das Krankenhaus in der Türkei. Darin heißt es, dass dem Kläger zeitlich unbegrenzt Sachleistungen wegen des Arbeitsunfalls am 1. Mai 2015 gewährt werden. Die Bescheinigung wurde dem Kläger nicht zur Kenntnis gegeben. Am 4. Mai 2015 teilte der Kläger der Beklagten telefonisch mit, dass das Krankenhaus die Bescheinigung nicht akzeptierte, und die Beklagte bat ihn um Vorlage eines Nachweises, dass er kein staatliches Krankenhaus habe aufsuchen können. In der Folgezeit ergaben sich Streitigkeiten wegen der Kostenübernahme zwischen der Privatklinik und der Beklagten.
Die Arbeitgeberin hatte bei der AOK am 14. April 2015 einen Antrag auf Erteilung einer Entsendebescheinigung für den Einsatz des Klägers vom 28. April 2015 bis 25. Juli 2015 in der Türkei gestellt und darin u.a. angegeben, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger seit dem 27. März 2015 bestehe; Angaben zur Befristung des Arbeitsvertrages enthält der Antrag nicht. Mit Schreiben vom 6. Mai 2015 übersandte die AOK dem Arbeitgeber eine auf diesen Tag datierende...