Entscheidungsstichwort (Thema)
Honorarrückforderung der Kassenärztlichen Vereinigung bei missbräuchlicher Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft durch Vertragsärzte
Orientierungssatz
1. Die Abrechnungen von Vertragsärzten, welche untereinander in einer Praxisgemeinschaft bzw. Berufsausübungsgemeinschaft verbunden sind, können unplausibel sein, wenn bestimmte Grenzwerte des Anteils identischer Patienten überschritten werden.
2. Eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft liegt vor, wenn Vertragsärzte ihre Zusammenarbeit im Innen- und Außenverhältnis so gestalten, wie dies für eine Gemeinschaftspraxis bzw. Berufsausübungsgemeinschaft typisch ist. Ein Formenmissbrauch ist bereits bei einer Patientenidentität bei deutlich unter 50 % anzunehmen (BSG Beschluss vom 02. Juli 2014, B 6 KA 2/14 B).
3. Nach den Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu § 106a SGB 5 ist eine Abrechnungsauffälligkeit bei versorgungsbereichsidentischen Praxen bereits dann zu vermuten, wenn eine Patientenidentität von mehr als 20 % besteht.
4. Bei dem der Kassenärztlichen Vereinigung zur Honorarrückforderung eingeräumten Schätzungsermessen kann auf die Abrechnungsregelungen für die Gemeinschaftspraxis zurückgegriffen werden.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 29. Januar 2014 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch über eine Honorarrückforderung in Höhe von 12.068,43 € gegenüber dem Kläger aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnungen der drei Quartale III/06 bis I/07.
Der Kläger ist seit Oktober 1982 als Arzt/Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Er führte seit 1987 und im streitbefangenen Zeitraum eine Praxisgemeinschaft mit seiner seit Januar 1987 als Ärztin/Fachärztin für Allgemeinmedizin zugelassenen Ehefrau Dr. C. A. Seit dem 1. Oktober 2010 führen sie eine Gemeinschaftspraxis.
In den Quartalen II/06 bis I/07 setzte die Beklagte das Honorar des Klägers durch Honorarbescheid fest. Die Festsetzungen im Einzelnen ergeben sich aus nachfolgender Übersicht:
|
Quartal |
II/06 |
III/06 |
IV/06 |
I/07 |
Honorarbescheid vom |
04.02.2007 |
17.03.2007 |
18.04.2007 |
08.03.2008 |
Versanddatum |
19.03.2007 |
02.05.2007 |
11.06.2007 |
28.08.2007 |
Nettohonorar gesamt in € |
42.940,09 |
40.169,88 |
50.013,69 |
45.460,60 |
Bruttohonorar PK + EK in € |
42.606,86 |
39.725,91 |
49.506,91 |
44.896,61 |
Fallzahl PK + EK |
925 |
914 |
934 |
959 |
Fallzahl gesamt |
944 |
938 |
958 |
981 |
Fallzahlbegrenzungsmaßnahme nach Ziff. 5.2.1 HVV (Quote in %) |
- |
- |
- |
98,90 |
Regelleistungsvolumen |
645.252,6 |
649.998,5 |
652.631,0 |
646.591,0 |
Überschreitung in Punkten |
72.717,7 |
91.291,5 |
199.964,0 |
229.574.0 |
Ziff. 7.5 Auffüll-/Kürzungsbetrag pro Fall in € |
- |
- 2,1043 |
- 0,7496 |
- |
Die Beklagte forderte den Kläger unter Datum vom 4. März 2010 aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Quartalsabrechnung für die Quartale II/05 bis I/07 zu einer Stellungnahme auf. Sie habe die Honorarabrechnung zusammen mit der Honorarabrechnung der Praxis der Frau Dr. A. einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Es sei analysiert worden, wie viele Patienten von beiden Ärzten gemeinsam behandelt und abgerechnet worden seien. Hierbei habe sie eine Anzahl von gemeinsam abgerechneten Fällen festgestellt, was sie zahlenmäßig in einer Tabelle darstellte. Der Kläger äußerte sich zur Einleitung des Verfahrens nicht. Nach Mitteilung des Klägers, er habe das Schreiben nicht erhalten, übersandte die Beklagte die Schreiben am 4. August 2010 (nach Erlass des Ausgangsbescheids) erneut per Telefax.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 23. Juli 2010 eine Honorarrückforderung i. H. v. insgesamt 17.035,65 € netto vor Verwaltungskosten fest. Im Einzelnen entfielen auf die Quartale II/06 bis I/07 folgende Honorarrückforderungen:
|
Quartal |
II/06 |
III/06 |
IV/06 |
I/07 |
Honorar |
4.967,22 € |
2.922,81 € |
4.321,25 € |
4.833,37 € |
Für die Quartale II/05 bis I/06 ergingen beratende Hinweise. Zur Begründung führte sie aus, die Abrechnungen von Ärzten, welche untereinander in einer Praxisgemeinschaft (Berufsausübungsgemeinschaft) verbunden seien, könnten unplausibel sein, wenn bestimmte Grenzwerte des Anteils identischer Patienten überschritten worden seien. Die Anzahl der doppelt abgerechneten Patienten sei ins Verhältnis zur praxiseigenen Patientenzahl zu setzen. Eine Abrechnungsauffälligkeit sei bei 20% Patientenidentität - auf die abrechnenden Praxen bezogen - bei versorgungsbereichsidentischen Praxen zu vermuten. Die Berechnungsergebnisse hätten für die Praxen der Praxisgemeinschaft folgende Werte ergeben:
|
Quartal |
Fallzahl Kläger |
Fallzahl Fr. Dr. A. |
Gemeinsame Patienten |
Anteil in Prozent Kl. |
Anteil in Prozent Fr. Dr. A. |
II/06 |
944 |
737 |
312 |
33,1 |
42,3 |
III/06 |
938 |
626 |
195 |
20,8 |
31,2 |
IV/06 |
958 |
686 |
236 |
24,6 |
34,4 |
I/07 |
981 |
733 |
298 |
30,4 |
40,7 |
|
3821 |
2782 |
1041 |
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Die nach außen gewählte Rechtsform einer Praxisgemeinschaft...