Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Abrechnungsprüfung. Praxisgemeinschaft. hoher Anteil gemeinsamer Patientenbehandlung. Missbrauch der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft. Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KVen und der Krankenkassen. Ausübung des Kürzungsermessens
Leitsatz (amtlich)
§ 11 Abs 2 der zwischen der KBV und den Spitzenverbänden der Krankenkassen vereinbarten Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KVen und der Krankenkassen nach § 106a Abs 2 SGB 5 (Abrechnungsprüfung der Kassenärztlichen Vereinigung) sowie nach § 106a Abs 3 SGB 5 (Abrechnungsprüfung der Krankenkassen) (Deutsches Ärzteblatt 2008, A 1925) gibt verbindlich vor, dass bei einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung im Ergebnis ein Anteil von 20 % - bzw bei fachübergreifenden Praxisgemeinschaften von 30 % - gemeinsamer Patienten anzuerkennen ist, soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die einen höheren Anteil rechtfertigen. Soll eine darüber hinausgehende Kürzung vorgenommen werden, ist dies im Einzelnen zu begründen und reichen bei Ausübung des Kürzungsermessens allgemeine pauschalierende Erwägungen nicht mehr aus (Fortführung von SG Marburg vom 8.5.2013 - S 12 KA 435/12 - Berufung anhängig: LSG Darmstadt: L 4 KA 33/13).
Orientierungssatz
Az beim LSG Darmstadt: L 4 KA 22/14
Tenor
I. Zum Az.: S 12 KA 359/12:
1. Der Bescheid vom 23.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2012 wird bzgl. der Quartale III/06 bis I/07 aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Kläger hat 1/3, die Beklagte hat 2/3 der Gerichtskosten zu tragen. Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
II. Zum Az.: S 12 KA 360/12:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Honorarrückforderung in Höhe von 17.035,65 € gegenüber dem Kläger zu 1) bzw. 14.776,57 € gegenüber der Klägerin zu 2) aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnungen der vier Quartale II/06 bis I/07 und hierbei insbesondere eines Praxisabgleichs innerhalb der Praxisgemeinschaft beider Kläger mit einem Anteil gemeinsamer Patienten zwischen 20,8 % und 33,1 % bzw. 31,2 % und 42,3 %.
Der Kläger zu 1) ist seit Oktober 1982 und die Klägerin zu 2) seit Januar 1987 als Arzt/Facharzt bzw. Ärztin/Fachärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt. zugelassen. Sie führen seit 1987 und im streitbefangenen Zeitraum eine Praxisgemeinschaft. Seit dem 01.10.2010 führen sie eine Gemeinschaftspraxis.
In den streitbefangenen Quartalen setzte die Beklagte das Honorar der Kläger jeweils durch Honorarbescheid fest. Die Festsetzungen im Einzelnen ergeben sich aus nachfolgender Übersicht:
Für den Kläger zu 1):
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Quartal |
II/06 |
III/06 |
IV/06 |
I/07 |
Honorarbescheid vom |
04.02.2007 |
17.03.2007 |
18.04.2007 |
08.03.2008 |
Versanddatum |
19.03.2007 |
02.05.2007 |
11.06.2007 |
28.08.2007 |
Nettohonorar gesamt in € |
42.940,09 |
40.169,88 |
50.013,69 |
45.460,60 |
Bruttohonorar PK + EK in € (bis 2001 in DM) |
42.606,86 |
39.725,91 |
49.506,91 |
44.896,61 |
Fallzahl PK + EK |
925 |
914 |
934 |
959 |
Fallzahl gesamt |
944 |
938 |
958 |
981 |
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Fallzahlbegrenzungsmaßnahme nach Ziff. 5.2.1 HVV |
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Quote in % |
-- |
-- |
-- |
98,90 |
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Regelleistungsvolumen |
645.252,6 |
649.998,5 |
652.631,0 |
646.591,0 |
Überschreitung in Punkten |
72.717,7 |
91.291,5 |
199.964,0 |
229.574.0 |
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Ziff. 7.5 |
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Auffüll-/Kürzungsbetrag pro Fall in € |
-- |
- 2,1043 |
- 0,7496 |
-- |
Für die Klägerin zu 2):
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Quartal |
II/06 |
III/06 |
IV/06 |
I/07 |
Honorarbescheid vom |
04.02.2007 |
17.03.2007 |
18.04.2007 |
08.03.2008 |
Nettohonorar gesamt in € |
30.688,74 |
24.887,47 |
29.192,27 |
28.119,04 |
Bruttohonorar PK + EK in € (bis 2001 in DM) |
31.175,07 |
25.403,74 |
29.480,22 |
29.343,51 |
Fallzahl PK + EK |
731 |
621 |
677 |
725 |
Fallzahl gesamt |
737 |
626 |
686 |
733 |
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Fallzahlbegrenzungsmaßnahme nach Ziff. 5.2.1 HVV |
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Quote in % |
-- |
-- |
-- |
-- |
|
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|
Regelleistungsvolumen |
429.951,0 |
353.805,0 |
387.785,6 |
424.59,5 |
Überschreitung in Punkten |
0 |
54.125,0 |
100.594,4 |
130.515,5 |
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Ziff. 7.5 |
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Auffüll-/Kürzungsbetrag pro Fall in € |
+ 3,2300 |
- 0,0420 |
- 0,5316 |
-- |
Die Beklagte forderte die Kläger jeweils unter Datum vom 04.03.2010 aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Quartalsabrechnung für die Quartale II/05 bis I/07 zu einer Stellungnahme auf. Sie habe die Honorarabrechnung zusammen mit der Honorarabrechnung der Klägerin zu 2) bzw. des Klägers zu 1) einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Es sei analysiert worden, wie viele Patienten von beiden Ärzten gemeinsam behandelt und abgerechnet worden seien. Hierbei habe sie eine Anzahl von gemeinsam abgerechneten Fällen festgestellt, was sie zahlenmäßig in einer Tabelle darstellte. Die Kläger äußerten sich zur Einleitung des Verfahrens nicht. Nach Mitteilung der Kläger, sie hätten das Schreiben nicht erhalten, übersandte die Beklagte die Schreiben am 04.08.2010 (nach Erlass der Ausgangsbescheide) erneut per Telefax.
Die Beklagte setzte jeweils mit Bescheid vom 23.07.2010 die strittigen Honorarrückfo...