Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Arbeitsteilung. Praxisgemeinschaft. Berufsausübungsgemeinschaft. Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen. patientenbezogene Plausibilitätsprüfung
Leitsatz (amtlich)
1. Ist aufgrund der Größe der Praxis eine gleichzeitige Berufsausübung beider Ärzte einer Praxisgemeinschaft (hier: Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin) nicht möglich, so folgt hieraus zwingend, dass keiner der beiden Ärzte die Sprechstundenzeiten anbieten kann, die eine - hier: kinderärztliche - Praxis im Normalfall anbietet. Insofern ist davon auszugehen, dass der übliche Praxisbetrieb nur durch das Behandeln beider Ärzte aufrechterhalten werden kann. Eine solche Arbeitsteilung ist nur in der Form einer Berufsausübungsgemeinschaft (Gemeinschaftspraxis) zulässig.
2. § 11 Abs 2 der zwischen der KBV und den Spitzenverbänden der Krankenkassen vereinbarten Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KVen und der Krankenkassen nach § 106a Abs 2 SGB 5 (Abrechnungsprüfung der Kassenärztlichen Vereinigung) sowie nach § 106a Abs 3 SGB 5 (Abrechnungsprüfung der Krankenkassen) (DÄ 2008, A 1925) gibt verbindlich vor, dass bei einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung im Ergebnis ein Anteil von 20 % - bzw. bei fachübergreifenden Praxisgemeinschaften von 30 % - gemeinsamer Patienten anzuerkennen ist, soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die einen höheren Anteil rechtfertigen. Soll eine darüber hinausgehende Kürzung vorgenommen werden, ist dies im Einzelnen zu begründen und reichen bei Ausübung des Kürzungsermessens allgemeine pauschalierende Erwägungen nicht mehr aus (Fortführung von SG Marburg vom 8.5.2013 - S 12 KA 435/12 - juris RdNr 59, Berufung anhängig: LSG Darmstadt - L 4 KA 33/13 -; SG Marburg vom 29.1.2014 - S 12 KA 359/12 und S 12 KA 360/12- Berufung anhängig beim LSG Darmstadt - L 4 KA 22/14 -).
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 20.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2013 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 17.717,42 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Honorarrückforderung in Höhe von 17.717,42 € aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnungen der acht Quartale II und IV/05, I/06 und III/06 bis III/07 und hierbei insbesondere eines Praxisabgleichs innerhalb der Praxisgemeinschaft der Klägerin mit Herrn Dr. C. mit einem Anteil gemeinsamer Patienten zwischen 20,24 % und 28,89 %.
Die Klägerin ist als Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Herr Dr. C. ist ebf. als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. In den streitbefangenen Quartalen bestand eine Praxisgemeinschaft zwischen dem Kläger und Herrn Dr. C..
In den streitbefangenen Quartalen setzte die Beklagte das Honorar der Klägerin jeweils durch Honorarbescheid fest. Die Festsetzungen im Einzelnen ergeben sich aus nachfolgender Übersicht:
|
Quartal |
II/05 |
IV/05 |
I/06 |
III/06 |
Honorarbescheid vom |
29.06.2006 |
06.08.2007 |
21.01.2007 |
17.03.2007 |
Nettohonorar gesamt in € |
30.429,37 |
40.086,44 |
40.108,14 |
33.318,69 |
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Quartal |
IV/06 |
I/07 |
II/07 |
III/07 |
Honorarbescheid vom |
18.04.2007 |
08.03.2008 |
17.10.2007 |
17.01.2008 |
Nettohonorar gesamt in € |
43.227,72 |
46.255,97 |
35.952,40 |
38.038,04 |
Die Beklagte forderte die Klägerin unter Datum vom 14.04.2009 aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Quartalsabrechnung für die Quartale II/05 bis IV/07 zu einer Stellungnahme auf. Sie habe die Honorarabrechnung der Klägerin zusammen mit der Honorarabrechnung des Herrn Dr. C. einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Es sei analysiert worden, wie viele Patienten von beiden Ärzten gemeinsam behandelt und abgerechnet worden seien. Hierbei habe sie eine Anzahl von gemeinsam abgerechneten Fällen festgestellt, was sie zahlenmäßig in einer Tabelle darstellte. Ferner fügte sie eine Patientenliste mit 21 Patientennamen bei.
Der Kläger äußerte sich zur Einleitung des Verfahrens nicht.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 20.07.2010 die strittigen Honorarrückforderungen fest. Im Einzelnen entfielen auf die streitbefangenen Quartale folgende Honorarrückforderungen:
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Quartal |
Honorar in € |
II/05 |
1.705,38 |
IV/05 |
2.436,72 |
I/06 |
2.697,40 |
III/06 |
2.026,85 |
IV/06 |
2.612,60 |
I/07 |
2.381,84 |
II/07 |
2.283,58 |
III/07 |
1.573,24 |
Zur Begründung führte sie aus, die Abrechnungen von Ärzten, welche untereinander in einer Praxisgemeinschaft (Berufsausübungsgemeinschaft) verbunden seien, könnten unplausibel sein, wenn bestimmte Grenzwerte des Anteils identischer Patienten überschritten worden seien. Die Anzahl der doppelt abgerechneten Patienten sei ins Verhältnis zur praxiseigenen Patientenzahl zu setzen. Eine Abrechnungsauffälligkeit sei bei 20% Patientenidentität - auf die abrechnenden Praxen bezogen - bei versorgungsbereichsidentischen Praxen zu vermuten. Die Berechnungsergebnisse hätten für die P...