Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Persönliches Budget. Zielvereinbarung über Leistungen der speziellen Krankenbeobachtung. Verstoß gegen Verpflichtung zum Nachweis der Qualitätssicherung. wirksame Kündigung

 

Orientierungssatz

Zum Streit über die Wirksamkeit der Kündigung eines im Rahmen des Persönlichen Budgets abgeschlossenen Vertrags ("Zielvereinbarung") über die Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege (spezielle Krankenbeobachtung), wenn in vielfältiger Weise gegen die in der Zielvereinbarung getroffenen Regelungen verstoßen und damit ua auch die Verpflichtung zum Nachweis der Qualitätssicherung nicht eingehalten wurde.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 01.07.2020; Aktenzeichen B 3 KR 56/19 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 29. August 2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2017 aufgehoben.

Die Klage wird im Übrigen abgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin 1/3 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte einen mit der Klägerin im Rahmen des Persönlichen Budgets abgeschlossenen Vertrag („Zielvereinbarung“) über die Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege wirksam gekündigt hat.

Die 2007 geborene Klägerin leidet unter einer kongenitalen Muskeldystrophie (sog. merosin-defiziente Myopathie) einhergehend u.a. mit respiratorischer Partialinsuffizienz; sie wird über eine PEG-Sonde versorgt. Die Klägerin ist über ihren Vater im Rahmen der Familienversicherung bei der Beklagten kranken- und pflegeversichert. Die Klägerin erhält seitens der AOK Hessen - Pflegekasse seit 1. Juli 2010 Leistungen der Pflegeversicherung in Form des Pflegegeldes nach Stufe III, das mit Wirkung zum 1. Januar 2017 in den Pflegegrad 4 umgewandelt wurde. Die häusliche Pflege der Klägerin ist über die Eltern der Klägerin sichergestellt. Die Klägerin sowie ihre Eltern bezogen vom 1. Juli 2012 bis 31. Dezember 2016 und sodann wieder ab 1. August 2017 bis 31. Oktober 2018 Leistungen nach dem SGB II.

Die Fa. D. E. aus E-Stadt beantragte mit Schreiben vom 2. August 2016 für die Klägerin - unter Vorlage einer Vollmacht des Vaters der Klägerin vom 27. Juli 2016 - ein Persönliches Budget gemäß § 17 Sozialgesetzbuch Band 9 (SGB IX; a.F.) für Leistungen häuslicher Krankenpflege gemäß Verordnung vom 28. Juni 2016. Dem Antrag war die Verordnung des Kinder- und Jugendarztes Dr. med. F. vom 28. Juni 2016 über häusliche Krankenpflege beigefügt, wonach die Klägerin aufgrund Muskeldystrophie und respiratorischer Partialinsuffizienz in der Zeit vom 1. Juli 2016 bis 31. Dezember 2016 an insgesamt 184 Tagen (handschriftlich ergänzt: jede Nacht) Anleitung zur Behandlungspflege "KO, Maske/Beatmung, Nahrungszufuhr, Absaugen, Inhalieren" und - ergänzt - "Entlüften des Magens, Umlagern, Krankenbeobachtung" sowie Grundpflege jede Nacht bei "Ausscheidungen, Ernährung und Körperpflege" benötige. Zur Begründung des Antrages auf ein Persönliches Budget wurde angeführt, dass die Behandlungspflege mit einem Bedarf täglich von 8 Stunden pro Nacht nicht von einem Intensivpflegedienst übernommen werden solle, sondern mit eigens angestellten Assistenzkräften im Rahmen des Persönlichen Budgets. Die Assistenzkräfte müssten natürlich die entsprechenden Schulungen an der Atemmaske erhalten, welche direkt vom Hersteller erfolgen könne. Dabei sei die anliegende Kostenkalkulation (monatlich 6.811,89 €) in Absprache mit dem zukünftigen Budgetnehmer verfasst worden. Die beigefügte Kostenkalkulation berücksichtigte den Tariflohn für eine/n Kinderkrankenschwester/-pfleger (Entgeltgruppe 7a) und für eine/n Pflegehelfer/in (Entgeltgruppe 4a). In der ärztlichen Verordnung wurde als zugelassener Pflegedienst die Fa. D. angegeben.

Nach Auswertung des Pflegegutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK Hessen) vom 28. September 2016 (Bl. 25 der Gerichtsakte) übersandte die Beklagte der Fa. D. per Mail vom 2. November 2016 einen Entwurf einer Zielvereinbarung zwischen der Klägerin und der Beklagten mit der Bitte um Durchsicht und Vervollständigung (Bankdaten, Beschäftigte). Sobald der Vertrag vervollständigt sei, wolle die Beklagte der Fa. D. Ausfertigungen im Original zukommen lassen (Bl. 28 der Verwaltungsakte).

Am 14. November 2016 bevollmächtigte der Vater der Klägerin C. A. die Fa. D. - E. mit der Eröffnung eines Treuhandkontos (Bl. 163 der Gerichtsakte). Am 18. November 2016 schlossen der Vater der Klägerin und die Fa. D. - E. mit Wirkung ab 1. Januar 2017 einen Anstellungsvertrag als Pflegeassistent im Umfang von 40 Wochenstunden bei einem Stundenlohn von 10,00 € und Nachtzuschlägen in Höhe von 25% bzw. 40% (Bl. 155 - 157 der Gerichtsakte). Ebenfalls am 18. November 2016 vereinbarten die Klägerin - vertreten durch ihren Vater - und die Fa. D. - E. einen „Pflege- und Betreuungsvertrag“ mit Wirkun...

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