0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist am 1.7.1977 zusammen mit dem SGB IV in Kraft getreten (BGBl. I S. 3845). Durch das Gesetz zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung anderer Gesetze v. 22.6.2011 (BGBl. I S. 1202) wurde mit Wirkung zum 29.6.2011 Abs. 7 angefügt Die Anfügung des Abs. 7 war notwendig geworden, weil in der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 eine dem bislang geltenden Art. 12 Verordnung (EWG) Nr. 574/72 vergleichbare Regelung (Zuständigkeit der Allgemeinen Ortskrankenkasse Bonn für Arbeitnehmer ohne konkreten Inlandsbezug, z. B. Botschaftsangehörige) fehlte (BT-Drs. 17/4978 S. 19). Mit Wirkung zum 1.1.2025 wird durch Art. 3 Gesetz über den Abschluss der Rentenüberleitung (Rentenüberleistungs-Abschlussgesetz) v. 17.7.2017 (BGBl. I S. 2575) in Abs. 7 Satz 2 die Angabe "(Ost)" gestrichen.
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 9 enthält Legaldefinitionen und ergänzt damit die Regelungen in §§ 3 bis 5 über den persönlichen und räumlichen Geltungsbereich. Er gilt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 für die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte sowie für die soziale Pflegeversicherung und nach § 1 Abs. 1 Satz 2 auch für die Arbeitsförderung. Nicht anwendbar ist § 9 hingegen im Bereich der Sozialhilfe und in der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Regelungsgegenstand des § 9 ist die Definition für die Sozialversicherung, welcher Ort als Beschäftigungsort anzusehen ist. Dabei ist unter "Ort" ein Ort im verwaltungsrechtlichen – nicht im geografischen – Sinn zu verstehen, also beispielsweise ein Bezirk und nicht die Betriebsstätte selbst (BSG, Urteil v. 20.3.1984, 8 RK 36/82).
Die Bestimmung des Beschäftigungsorts hat im Krankenversicherungsrecht Bedeutung u. a. für die Zuständigkeit der Ortskrankenkasse und damit auch für die der Einzugsstelle (§ 173 Abs. 2 SGB V, § 28i). Im Bereich der Rentenversicherung kann sich die örtliche Zuständigkeit der Regionalträger aus dem Beschäftigungsort ergeben (§ 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI). In der gesetzlichen Unfallversicherung richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers hingegen nicht nach dem Beschäftigungsort, sondern nach dem Sitz des Unternehmens (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Bedeutung hat der Beschäftigungsort im Weiteren für die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 SGG).
Abs. 1 enthält die Legaldefiniton des Beschäftigungsorts. In den Abs. 2 bis 7 werden weitere Beschäftigungsorte fingiert ("als Beschäftigungsort gilt", "gilt als Beschäftigungsort").
§ 9 ist zwingendes Recht und kann daher nicht, insbesondere auch nicht durch den Arbeitsvertrag oder durch die Satzungen der Sozialversicherungsträger, abbedungen werden.
2 Rechtspraxis
2.1 Tatsächlicher Beschäftigungsort (Abs. 1)
Rz. 3
Abs. 1 definiert als Beschäftigungsort, den Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird. Ort im Sinne des Abs. 1 ist nicht eine begrenzte geografische Örtlichkeit, sondern die Ortschaft bzw. Gemeinde im politischen Sinn (BSG, Urteil v. 20.3.1984, 8 RK 36/82).
Unerheblich ist, ob eine feste Arbeitsstätte besteht oder nicht. Das gilt jedenfalls immer dann, wenn die Beschäftigung nur im Bezirk einer Gemeinde oder ausschließlich in einer festen Arbeitsstätte ausgeübt wird. Wird eine Beschäftigung an mehreren festen Arbeitsstätten ausgeübt, ist Abs. 3 einschlägig. Wenn sich die feste Arbeitsstätte über den Bezirk mehrerer Gemeinden erstreckt, trifft Abs. 4 eine Regelung.
2.2 Feste Arbeitsstätte = Beschäftigungsort (Abs. 2 bis 4)
Rz. 4
Für Personen, die in einer festen Arbeitsstätte beschäftigt und von dort aus mit einzelnen Arbeiten außerhalb dieser Arbeitsstätte betraut werden, gilt als Beschäftigungsort der Ort der Arbeitsstätte (Abs. 2 Nr. 1).
Der Begriff "Arbeitsstätten" ist in § 2 Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) definiert. Arbeitsstätten sind demnach Arbeitsräume oder andere Orte auf dem Gelände eines Betriebes, Orte im Freien auf dem Gelände eines Betriebes oder Orte auf Baustellen. Eine feste Arbeitsstätte ist anzunehmen, wenn sie für eine gewisse Dauer errichtet ist. Unter Rückgriff auf § 12 Satz 2 Nr. 8 AO ist ein Zeitraum von mehr als 6 Monaten erforderlich (vgl. auch Grimmke, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 9 Rz. 19).
Unter den Anwendungsbereich des Abs. 2 Nr. 1 fallen etwa Bau- und Montagearbeiter oder Handelsvertreter.
Rz. 5
Als Beschäftigungsort gilt nach Abs. 2 Nr. 2 auch dann die feste Arbeitsstätte, wenn einer Beschäftigung ständig außerhalb der festen Arbeitsstätte nachgegangen wird. Weitere Voraussetzung ist jedoch, dass die feste Arbeitsstätte und der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird, im Bezirk desselben Versicherungsamtes (§ 92) liegen.
Für die Personen, bei denen die feste Arbeitsstätte und der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird, nicht im Bezirk desselben Versicherungsamtes liegen, besteht eine Regelungslücke, die durch die analoge Anwendung des Abs. 5 geschlossen wird (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 8.3.2012, L 3 R 72/08; Grimmke, a. a. O., § 9 Rz. 19).
Rz. 6
Werden Personen an mehreren festen Arbeitsst...