2.5.6.1 Arbeitnehmer in der Gleitzone nach dem bis zum 30.9.2022 geltenden Recht
Rz. 21
Die Einführung einer Gleitzone (§ 20 SGB IV) ab 1.4.2003 durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt machte neben einer Sonderregelung für die Beitragsbemessung (§ 163 Abs. 10 Satz 1) eine ergänzende Bestimmung über die Beitragstragung erforderlich. Eine Gleitzone lag gemäß § 20 Abs. 4 SGB IV bis zum 30.6.2019 bei einem Arbeitsentgelt von 450,01 EUR bis 850,00 EUR vor (näher: § 20 Abs. 2 SGB IV i. d. F. des Gesetzes v. 5.12.2012, BGBl. I S. 2474; zuvor 400,01 EUR bis 800,00 EUR). Nach Abs. 1 Nr. 1d, der durch Art. 3 Nr. 11 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch v. 15.4.2015 (BGBl. I S. 583) lediglich eine redaktionelle Änderung erfuhr, trägt bei Arbeitnehmern, deren beitragspflichtige Einnahme sich nach § 163 Abs. 10 Satz 1 bestimmt, der Arbeitgeber den Beitrag in Höhe der Hälfte des Betrages, der sich ergibt, wenn der Beitragssatz auf das der Beschäftigung zugrunde liegende Arbeitsentgelt angewendet wird, im Übrigen ist der Beitrag vom Versicherten zu tragen. Die Arbeitgeber tragen also ihren vollen Beitragsanteil, wie er auch ohne die Sonderregelung für die Gleitzone betragen würde, während die Arbeitnehmer lediglich einen reduzierten Beitrag leisten. Innerhalb der Gleitzone stieg mit dem Arbeitsentgelt der prozentuale Anteil des Versicherten (vgl. auch die Beispiele unten). Die Gleitzone sollte so die sog. Niedriglohnschwelle (abrupter Anstieg bei Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze) beseitigen. Die Gleitzonenregelung war auch dann anwendbar, wenn das Arbeitsentgelt aufgrund einer Altersteilzeitregelung so verringert ist, dass es in die Gleitzone fällt (vgl. BSG, Urteil v. 15.8.2018, B 12 KR 4/18 R). Der reduzierte Beitrag des Versicherten wirkte sich in der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Rentenhöhe aus (vgl. dazu unten Rz. 22 und die Komm. zu § 163). In der knappschaftlichen Rentenversicherung gelten auch für die Arbeitnehmer mit einem Entgelt innerhalb der Gleitzone die Besonderheiten, die sich aus dem höheren Arbeitgeberanteil ergeben (vgl. Abs. 3 und unten Beispiel 4).
Rz. 21a
Während sich durch das Haushaltsbegleitgesetz 2006 und die Anhebung der Pauschalabgaben zum 1.7.2006 bei Arbeitsentgelt bis damals 400,00 EUR niedrigere Beiträge der Beschäftigten und deutlich höhere Belastungen der Arbeitgeber ergaben (vgl. oben), wirkten sich diese Änderungen auf die Beitragshöhe und Beitragstragung bei Arbeitsentgelt in der Gleitzone anders aus. Allerdings bewirkt die Anpassung des Faktors F in § 163 Abs. 10 auch in der Gleitzone höhere beitragspflichtigen Einnahmen (§ 163) und höhere Beiträge (vgl. Beispiele zu Rz. 23). Dies beruht aber auf einem Anstieg des vom Versicherten zu tragenden Beitragsanteils, welcher umso höher ist, je näher das Entgelt bei 450,00 EUR liegt. Vergleicht man die Arbeitgeberbeiträge für versicherungspflichtig oder versicherungsfrei (§ 168 Abs. 1 Nr. 1b, § 172 Abs. 3) geringfügig im gewerblichen Bereich Beschäftigte mit denen für Beschäftigte mit Arbeitsentgelt in der Gleitzone (namentlich an deren Anfang), dürfte Anreiz zum Ausweichen dorthin bestanden haben.
Ab dem 1.7.2019 wurde durch Art. 1 Nr. 9, Art. 4 Nr. 2 des RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz v. 28.11.2018 in § 163 Abs. 10 SGB VI und § 20 Abs. 2 SGB IV die Gleitzone durch den Übergangsbereich ersetzt und die Entgeltgrenze von 850,00 EUR auf 1.300,00 EUR angehoben. Dies geschah, um Geringverdienerinnen und Geringverdiener bei den Sozialabgaben zu entlasten und sicherzustellen, dass die reduzierten Rentenversicherungsbeiträge nicht mehr zu geringeren Rentenleistungen führen. Da der Arbeitgeberanteil unverändert bleibt, wird erwartet, dass arbeitgeberseitig kein Anreiz besteht, Vollzeitstellen in Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse aufzuteilen. Die Neuausrichtung der Gleitzone sollte durch die veränderte Begrifflichkeit gezeigt werden (vgl. BT Drs. 19/4668 S. 3, 23). Gleichzeitig entfiel die Möglichkeit, nach § 163 Abs. 10 Satz 6 durch Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber, dass beitragspflichtige Einnahme das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung sein solle (vgl. dazu Rz. 22).
Rz. 22
Hatte ein Arbeitnehmer mit einem Arbeitsentgelt innerhalb der Gleitzone schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber erklärt, dass abweichend von § 163 Abs. 10 Satz 1 beitragspflichtige Einnahme das (gesamte) Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung sein soll (vgl. § 163 Abs. 10 Satz 6 und Komm. zu § 163), um eine der mit der Anwendung des § 163 Abs. 10 Satz 1 verbundene Reduzierung der Rentenanwartschaft zu vermeiden, griff hinsichtlich der Beitragstragung nicht die Sonderregelung des Abs. 1 Nr. 1d, sondern der Grundsatz der hälftigen Beitragstragung nach Abs. 1 Nr. 1 ein. In den unten folgenden Praxisbeispielen, die zu § 163 Abs. 10 Satz 1 und § 168 Abs. 1 Nr. 1d gebildet worden sind, wäre also im Falle des § 163 Abs. 10 Satz 6 Bemessungsgrundlage das gesamte Arbeitsentgelt von 500,00/600,00/1.000,00 EUR. Der in der allgeme...