Rz. 8
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unter den in den Abs. 3 und 5 genannten Voraussetzungen nicht möglich. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob das zur Fristversäumung führende Hindernis noch besteht oder nicht. Die Vorschriften dienen der Rechtssicherheit und gehen den Interessen der Beteiligten an einer materiell-rechtlich richtigen Entscheidung vor. Damit soll verhindert werden, dass Verwaltungsverfahren zu lange in der Schwebe gehalten werden.
Rz. 9
Nach Ablauf der Jahresfrist (Abs. 3), die am Tag nach dem Tag des Fristablaufs beginnt, scheidet die Wiedereinsetzung aus. Bei der Jahresfrist handelt es sich um eine gesetzliche Frist i. S. v. Abs. 5, so dass die Wiedereinsetzung insoweit ausgeschlossen ist.
Rz. 10
Ausnahmsweise ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Ablauf der Jahresfrist noch möglich, wenn der Antrag auf Wiedereinsetzung oder Nachholung der versäumten Handlung infolge höherer Gewalt unmöglich war (Abs. 3). Unter höherer Gewalt ist nicht nur wie im Haftungsrecht ein von außen kommendes nicht beeinflussbares Ereignis (Krieg, Naturkatastrophe, Epidemie oder ähnliches) sondern jedes Geschehen zu verstehen, das auch durch die größtmögliche, von dem Betroffenen unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung vernünftigerweise zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Unabwendbar in diesem Sinne ist die Fristversäumnis, wenn sie durch eine falsche oder irreführende Auskunft oder Belehrung oder sonst durch ein rechts- oder treuwidriges Verhalten der Verwaltungsbehörde verursacht wird (BSG, Urteil v. 25.3.2003, B 1 KR 36/01 R, BSG 91 S. 39 = SozR 4-1500 § 67 Nr. 1). Auch in diesen Fällen muss die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb von 2 Wochen nach Wegfall der "höheren Gewalt" beantragt und die versäumte Handlung innerhalb dieser Frist nachgeholt werden. Die bloße Unkenntnis über anspruchsbegründende Umstände stellt auch dann keinen Umstand höherer Gewalt i. S. v. Abs. 3 dar, wenn sie im wesentlichen auf einer mangelnden Aufklärung der betroffenen Person durch die zuständigen staatlichen Stellen beruhte (BSG, Beschluss v. 27.3.2014, B 9 V 69/13 B).
Rz. 11
Nach Abs. 5 ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in jedem Fall unzulässig, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Dabei ist nicht erforderlich, dass dies in der Rechtsvorschrift ausdrücklich bestimmt wird; es genügt, wenn es sich aus ihrem Sinn und Zweck ergibt. Allein aus der Bezeichnung Ausschlussfrist kann nicht ohne weiteres die Unzulässigkeit der Wiedereinsetzung gefolgert werden (BSG, Urteil v. 21.2.1991, 7 RAr 74/89, SozR 3-4100 § 81 Nr. 1). Erforderlich ist vielmehr eine inhaltliche Prüfung der jeweiligen Fristenregelung, insbesondere ist zu fragen, welchem Zweck die Frist dient und wie der Gesetzgeber dabei die widerstreitenden Interessen, nämlich einerseits das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Frist, andererseits das Interesse des einzelnen an ihrer nachträglichen Wiedereröffnung, bewertet. Erst wenn klar ist, welchen Zweck der Gesetzgeber mit einer Fristbestimmung verfolgt und welche Interessenabwägung ihr zugrunde liegt, kann entschieden werden, ob das öffentliche Interesse so gewichtig ist, dass auch bei unverschuldeter Versäumnis der Frist im Einzelfall ihre nachträgliche Wiedereröffnung generell nicht zu gestatten ist (BSG, Urteil v. 22.10.1988,12 RK 22/87, BSGE 64 S. 153 = SozR 1300 § 27 Nr. 4).