Rz. 44
Für den Fall, dass nach Antragstellung oder Erlass des VA Einkommen oder Vermögen erzielt wird, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, gilt als Regelfall die Aufhebung des VA mit Rückwirkung zum Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse. Eine schuldhafte Verletzung einer Mitteilungspflicht ist hier nicht erforderlich, überhaupt ist dieser Aufhebungstatbestand völlig verschuldensunabhängig und wird daher von den Betroffenen häufig als besonders hart empfunden. Beim Arbeitslosengeld II nach dem SGB II handelt es sich um von der Höhe des Einkommens abhängige Leistungen, so dass allein der nachträgliche Zufluss anrechenbaren Nebeneinkommens den Aufhebungstatbestand erfüllt (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 12.7.2006, L 10 B 345/06). Auf eine etwaige schuldhafte Verletzung einer Mitteilungspflicht kommt es nicht an.
Liegt allerdings darüber hinaus die schuldhafte Verletzung einer Mitteilungspflicht vor, kann zusätzlich die rückwirkende Aufhebung nach Satz 2 Nr. 2 begründet sein.
Rz. 45
Der Begriff des Erzielens von Einkommen setzt grundsätzlich keinen bewussten und gewollten Vermögenserwerb voraus. Ausreichend ist allein der (auch zufällige) Erwerb von Einkommen und Vermögen, z. B. durch Erbschaft oder Lottogewinn. Das Einkommen muss auch nicht von dem durch den VA Betroffenen erzielt werden; dieser muss also nicht Anspruchsinhaber sein. Ausreichend ist, dass durch Einkommen der bescheidmäßige Anspruch wegfällt oder gemindert wird (BSG, Urteil v. 6.11.1985, 10 RKg 3/84, SozR 1300 § 48 Nr. 19 = NJW 1987 S. 1222). Dabei liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 auch dann vor, wenn die tatsächliche Änderung jene Leistungsvoraussetzung betrifft, die rechtsfehlerhaft zur Leistungsbewilligung geführt hat (BSG, Beschluss v. 19.7.2010, B 8 SO 22/10 B). Auch bei fehlerhaft angenommenen Leistungsvoraussetzungen (z. B. Bejahung der Bedürftigkeit i. S. d. SGB XII trotz Vermögens über der Schongrenze) kann eine tatsächliche Änderung der Verhältnisse (Erzielung von Einkommen nach Erlass eines Dauer-VA) zu einer Korrektur des Bescheides nach § 48 führen (BSG, a. a. O., m. w. N.). Die Bewilligung von Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II ist nach § 48 wegen einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in vollem Umfang aufzuheben, wenn sich der Pflegebedarf erheblich verringert hat und jetzt keinerlei Pflegebedarf mehr vorliegt. Dies gilt auch dann, wenn im Zeitpunkt der Bewilligung der Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II objektiv nur die Voraussetzungen der Pflegestufe I erfüllt waren (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 5.8.2010, L 5 P 9/10).
Rz. 46
Der Einkommensbegriff in Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ist weit gefasst und geht über die Begriffe des Gesamteinkommens, Arbeitsentgeltes oder Arbeitseinkommens nach dem SGB IV hinaus und umfasst auch Sozialleistungen. Der Vermögensbegriff ist im SGB nicht definiert und ist mit dem steuerrechtlichen Vermögensbegriff nicht identisch.
Rz. 47
Die Vorschrift selbst enthält keine Aussage dazu, wann Einkommen oder Vermögen erzielt ist. Ebenso wenig besagt die Vorschrift selbst, welches Einkommen oder Vermögen zu berücksichtigen ist. Die Konkretisierung des für den Anspruch relevanten Einkommens und Vermögens ergibt sich aus den materiellen Vorschriften. Dessen Voraussetzungen bestimmen zugleich auch die Wesentlichkeit der Einkommens- oder Vermögenserzielung für eine Änderung des Ausgangsbescheides, denn dieses Einkommen muss zu einem Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs führen, der durch VA mit Dauerwirkung festgesetzt wurde. Neben den ausdrücklich genannten Fällen des Wegfalls oder der Minderung des Anspruchs wird auch der Fall des Ruhens des Anspruchs von der Regelung umfasst (BSG, Urteil v. 19.2.1986, 7 RAr 55/84, SozR 1300 § 48 Nr. 22, und Urteil v. 13.8.1986, 7 RAr 33/85, SozR 1300 § 48 Nr. 26). Eine Einkommenserzielung nimmt das LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil v. 30.1.2013, L 12 AS 1571/11) bereits bei Entgegennahme eines Schecks an; auf die Einlösung komme es nicht an (kritisch zu dieser Entscheidung: Klerks, info also 2014 S. 30).
Rz. 48
Für die Einkommensanrechnung wird die Nr. 3 durch Abs. 1 Satz 3 notwendig ergänzt. Danach gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen nach den besonderen Teilen des Gesetzbuches auf einen zurückliegenden Zeitpunkt anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse. Diese Regelung hat für den Begriff des Erzielens von Einkommen und Vermögen sowohl in zeitlicher als auch sachlicher Hinsicht Bedeutung. Eine Rentenzahlung ist bei einem Bezieher von Arbeitslosengeld II erst ab Beginn des Monats als Einkommen zu berücksichtigen, in welchem die tatsächliche Auszahlung erfolgt (§ 11 Abs. 2 SGB II). Eine wesentliche Änderung i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 3 tritt daher erst im Monat des tatsächlichen erstmaligen Zuflusses ein (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 29.1.2015, L 7 AS 4641/12).
Rz. 49
Mit der Fiktion der zeitlichen Zuordnung wird erreicht, ...