2.1 Fachkammerprinzip
Rz. 2
Die Spruchkörper (Kammern) bei den Sozialgerichten sind nach dem Fachkammerprinzip gegliedert. § 10 schrieb bis zum 14.12.2004 ausdrücklich die Bildung von besonderen Kammern für Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Arbeitsförderung, des sozialen Entschädigungsrechts (SGB XIV ab 1.1.2024) sowie des Vertragsarztrechts vor. Somit mussten bei jedem Sozialgericht mindestens 4 Kammern bestehen, auch wenn das Bundessozialgericht (BSG, Urteil v. 22.1.1981, 10/8b RAr 63/63) eine organisatorische Trennung zwischen Kammern für Angelegenheiten der Sozialversicherung und der Arbeitsförderung nicht für notwendig angesehen hat. Durch die Neufassung von § 10 Abs. 1 Satz 1 sind seit 15.12.2004 darüber hinaus noch Fachkammern für Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Bürgergeld) sowie für Angelegenheiten der Sozialhilfe und des AsylbLG zu bilden. Dies gilt weiterhin trotz der zum 1.4.2008 in Kraft getretenen Änderung von § 12 Abs. 1 und 5, in dem die Besetzung der Fachkammern für Arbeitsförderung und für Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende mit ehrenamtlichen Richtern nunmehr identisch (Arbeitnehmer/Arbeitgeber) geregelt wird. Die Einbeziehung der Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Kammern für Angelegenheiten der Arbeitsförderung ist damit weiterhin nicht zulässig, da damit das in § 10 Abs. 1 auch insoweit weiter aufrechterhaltene Fachkammerprinzip unterlaufen würde. Die Ergänzung von § 10 Abs. 1, der die Bildung von Fachkammern bei den Sozialgerichten regelt, war im Hinblick auf die Zuständigkeiten der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit für die Grundsicherung für Arbeitsuchende und für Angelegenheiten der Sozialhilfe und des AsylbLG notwendig. Diese Zuständigkeiten sind den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt und durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch übertragen worden (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 4, § 51 Abs. 1 Nr. 6a). Für diese Leistungen sollen jeweils besondere Fachkammern gebildet werden (BR-Drs. 302/04 S. 10). Bei entsprechendem Bedarf kann darüber hinaus eine Kammer für Angelegenheiten der knappschaftlichen Versicherungen gebildet werden. Diese Festlegung der Mindestzahl der Kammern bedeutet aber nicht zugleich eine personelle Entscheidung für die Sozialgerichte, denn gemäß § 21e Abs. 1 Satz 4 GVG (vgl. Kommentierung zu § 6 Rn. 3) kann ein Berufsrichter mehreren Spruchkörpern (auch als Vorsitzender) angehören. Lediglich bei der Besetzung mit ehrenamtlichen Richtern sind die verschiedenen Sachgebiete zwingend zu berücksichtigen. Durch die (ergänzende) Änderung zum 1.1.2020 wird redaktionell auf die Neufassung des SGB IX reagiert und klargestellt, dass die Angelegenheiten des Teil 2 des SGB IX (Eingliederungshilfe) zu den Angelegenheiten der Sozialhilfe gehören.
Rz. 3
Zur Sozialversicherung zählen neben den klassischen Gebieten (Renten-, Unfall- und Krankenversicherung) die Pflegeversicherung sowie Sonderbereiche (etwa die Alterssicherung der Landwirte und die Künstlersozialversicherung). Für die Zugehörigkeit ist entscheidend auf die Sachnähe abzustellen. Die Kammern für Angelegenheiten der Arbeitsförderung entscheiden in Streitigkeiten nach dem SGB III sowie bezüglich der anderen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit (ausschließlich der Grundsicherung für Arbeitsuchende, soweit die Bundesagentur für Arbeit und nicht die Kreise bzw. kreisfreien Städte zuständig sind). Die Kammern urteilen in der Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern (§ 12 Abs. 1). In Angelegenheiten der Sozialversicherung wirkt je ein ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der Versicherten und der Arbeitgeber mit. Bei Streitigkeiten der Arbeitsförderung sind ab 1.4.2008 ehrenamtliche Richter aus dem Kreis der Arbeitnehmer und Arbeitgeber beteiligt.
Rz. 3a
Die Kammern für Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende urteilen ebenfalls mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern. Dabei ist je ein ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu beteiligen. Insoweit besteht ein Unterschied zur Besetzung der Kammern für Angelegenheiten der Sozialversicherung, jedoch nicht mehr zu Kammern für Angelegenheiten der Arbeitsförderung. Denn neben einem ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der Arbeitgeber ist nicht ein ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der Versicherten, zu denen auch versicherte Rentner gehören, sondern aus dem Kreis der (versicherten) Arbeitnehmer zu beteiligen. Dabei ist der Begriff des Arbeitnehmers nicht auf den aktiv im Arbeitsleben Stehenden begrenzt, sondern umfasst auch arbeitslose Arbeitnehmer. Denn in der Gesetzesbegründung zu § 12 Abs. 5 (BR-Drs. 302/04 S. 10) werden die Begriffe "erwerbsfähige Hilfsbedürftige" und "Arbeitnehmer" gleichgesetzt. § 16 Abs. 3 Satz 2 i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes stellt dies ausdrücklich klar. Die ...