Rz. 4

Der Vorsitzende hat den übrigen Beteiligten eine Abschrift der Klage zu übermitteln. Er unterliegt der Verpflichtung ohne Ausnahme, selbst wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Es wird allerdings auch die Auffassung vertreten, die Übersendung der Abschrift könne ausnahmsweise unterbleiben, wenn ein prozessunfähiger Querulant Klage erhebt, da in einem solchen Fall kein besonderer Vertreter nach § 72 Abs. 1 bestellt werden könne (Peters/Sautter/Wolff, § 104 Rn. 12). Dagegen spricht jedoch nicht nur der Wortlaut; es dürfte auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift sowie dem Gebot des rechtlichen Gehörs widersprechen, den übrigen Beteiligten jede Gelegenheit zur Äußerung zu nehmen (vgl. hierzu auch BSG, Beschluss v. 12.2.2015, B 10 ÜG 8/14 B).

 

Rz. 5

Frei steht dem Vorsitzenden im Regelfall nach Satz 1 HS 1 die Art und Weise, wie er die Abschriften übermittelt. Er kann sie entweder zustellen, vgl. Satz 2 der Vorschrift, oder sie anderweitig "mitteilen". Dabei ist auch eine persönliche Übergabe der Abschriften nicht ausgeschlossen. Der durch das Justizkommunikationsgesetz mit Wirkung zum 1.4.2005 von "übersenden" in "übermitteln" abgeänderte Wortlaut ist weit gefasst und bereits zuvor war der Wortlaut nach seinem Sinn und Zweck nicht so eng auszulegen, dass ausschließlich eine Übersendung per Post der Bestimmung genügt. In Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens nach § 198 GVG muss nach Satz 1 HS 2 nunmehr zugestellt werden.

 

Rz. 6

In der ersten Instanz ist es allein Aufgabe des Vorsitzenden, die Übermittlung der Klageschrift vorzunehmen. Die Aufgabe kann nicht an einen anderen, insbesondere nicht an die Geschäftsstelle, übertragen werden. Mit der Übermittlung der Klageschrift soll der Vorsitzende zugleich weitere prozessfördernde Maßnahmen treffen. Er hat von Prozessbeginn an darauf hinzuwirken, dass der Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung beendet werden kann, § 106 Abs. 2. Es kann daher im Einzelfall sinnvoll sein, bereits mit der Übermittlung der Klageschrift Fragen an die Beteiligten zu stellen, Auflagen zu machen oder ähnliche Maßnahmen zu treffen. Im Falle der Verhinderung des Vorsitzenden kann daher nur der für ihn bestimmte Vertreter die Aufgabe übernehmen.

 

Rz. 7

Der Vorsitzende hat eine "Abschrift" der Klage zu übermitteln. Dies bedeutet, dass der Inhalt der Klageschrift den übrigen Beteiligten im vollen Wortlaut mitgeteilt werden muss. Dem genügt keine Zusammenfassung des Inhalts der Klageschrift. In welcher Form die Abschriften erteilt werden, etwa als Fotokopien oder als wörtliche Abschrift, ist dagegen rechtlich unerheblich.

 

Rz. 8

Die übrigen Beteiligten müssen außerdem über sämtliche der Klageschrift beigefügten Anlagen in Kenntnis gesetzt werden. Es besteht dagegen keine Verpflichtung, allen übrigen Beteiligten sämtliche Anlagen zur Klageschrift in Abschrift zur Verfügung zu stellen, vor allem wenn diese nach Einschätzung des Vorsitzenden für den Prozess nicht von Bedeutung sind. Über ihre Vorlage sollte der Vorsitzende aber unterrichten und so die Gelegenheit einräumen, von dem Einsichtsrecht (§ 120) Gebrauch zu machen.

Hat der Kläger der Klageschrift die erforderlichen Abschriften entgegen der Bestimmung des § 93 nicht beigefügt, so kann der Vorsitzende entweder die Abschriften von ihm nachfordern oder selbst Abschriften anfertigen (lassen). Die hierdurch entstandenen Kosten kann der Kostenbeamte des Gerichts von dem Kläger einziehen.

Die Übermittlung der Abschriften kann mit einer Terminsmitteilung oder Ladung verbunden werden. Auch in einem solchen Fall schreibt § 63 i. d. F. des 6. SGGÄndG keine Zustellung mehr vor, sondern lässt eine Bekanntgabe genügen. Wird nicht zugestellt, können sich allerdings Nachweisprobleme ergeben. Wird die Verletzung des Gebots des rechtlichen Gehörs gerügt, kommt es auf den Nachweis des Zugangs der Unterlagen an.

 

Rz. 9

Da der Vorsitzende die Mitteilung der Klageschrift mit anderen prozessfördernden Maßnahmen verbinden kann, ist er in den Standardfällen nach Satz 1 HS 1 auch nicht verpflichtet, die übrigen Beteiligten unmittelbar nach Eingang der Klageschrift zu unterrichten. Die Vorschrift sieht keine Frist für die Übersendung der Klageschrift vor. Der Vorsitzende darf und soll sich mit der Übersendung die Zeit nehmen, die für eine sinnvolle Bearbeitung der Streitsache als angemessen erscheint. Gerade ein Beigeladener muss nicht zwingend unmittelbar nach Klageerhebung von der Klageschrift in Kenntnis gesetzt werden. Auch kann es beispielsweise sinnvoll sein, den Kläger zunächst im Rahmen der Aufklärungspflicht des § 106 zur Konkretisierung des Klagebegehrens aufzufordern oder die Bezeichnung des Beklagten zu ändern bzw. zu ergänzen und erst nach Rücklauf die Abschriften an die übrigen Beteiligten zu übermitteln. Da die Rechtshängigkeit in den Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens nach Satz 1 HS 2 von der Zustellung abhängt, gilt dies jedoch nicht für diese Verfahren. Sie müssen alsbald zugestellt werde...

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