Rz. 8

Durch das Wort "insbesondere" stellt der Gesetzgeber in § 106 Abs. 3 klar, dass der dort normierte Katalog von Ermittlungsmaßnahmen nicht abschließend ist. Es finden sich gerade im SGG selbst auch in anderen Vorschriften Maßnahmen, die zur mündlichen Verhandlung hinführen bzw. deren Vorbereitung dienen (vgl. §§ 110, 111).

Die Auswahl der Maßnahmen steht im Ermessen des Vorsitzenden. § 106 Abs. 3 ist eine Kann-Vorschrift. Allerdings ist die das sozialgerichtliche Verfahren beherrschende Untersuchungsmaxime verletzt, wenn das Tatsachengericht Ermittlungen unterlässt, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend hätte anstellen müssen (BSG, Beschluss v. 21.10.1999, B 9 V 41/99 B, juris; BSG, Urteil v. 22.8.2000, B 2 U 43/99 R, HVBG-INFO 2000 S. 3122 ff.; BSG, Urteil v. 18.3.2003, B 2 U 31/02 R, Breithaupt 2003 S. 565 ff.; BSG, Urteil v. 6.5.2004, B 4 RA 44/03 R, juris; BSG, Urteil v. 17.2.2005, B 13 RJ 1/04 R, juris; LSG NRW, Urteile v. 12.6.2002, L 7 SB 39/02, juris, und L 7 SB 65/02, juris).

Die Maßnahmen nach § 106 Abs. 3 werden nach entsprechender richterlicher Verfügung durchgeführt. Eines Beweisbeschlusses bedarf es nicht.

Eine Beschwerdemöglichkeit gegen die Verfügung besteht nicht, vgl. § 172 Abs. 2.

2.4.1 § 106 Abs. 3 Nr. 1

 

Rz. 9

Der Vorsitzende kann sich gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 1 nicht nur von den Beteiligten, sondern auch von Außenstehenden Urkunden mitteilen lassen (terminologisch sinnvoller ist es, von einer "Vorlage" zu sprechen). Für Gerichte, Verwaltungsbehörden und Organe der Versicherungsträger besteht gemäß § 5 (vgl. auch Art. 35 GG), wonach diese Einrichtungen den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit Rechts- und Amtshilfe zu leisten haben, auch eine Vorlagepflicht, vorbehaltlich allerdings der Ausnahmetatbestände des § 119. Weigert sich ein Beteiligter, eine bestimmte Urkunde herauszugeben, oder widerspricht er der Übermittlung eines Duplikats an den Verfahrensgegner mit der Folge des § 128 Abs. 2, so kann dies erhebliche beweisrechtliche Konsequenzen haben. Der Rechtsgedanke des § 444 ZPO, welcher über § 106 Abs. 4 i. V. m. § 118 auch hier gilt, ist zu beachten (vgl. BSG, Beschluss v. 13.9.2005, B 2 U 365/04 B, juris). § 444 ZPO sieht vor, dass die Behauptungen des Gegners über die Beschaffenheit und den Inhalt einer Urkunde als bewiesen angesehen werden können, wenn die Urkunde von einer Partei in der Absicht, ihre Benutzung dem Gegner zu entziehen, beseitigt oder zur Benutzung untauglich gemacht worden ist. Ein Sozialleistungsträger wird vor diesem Hintergrund jeweils sehr sorgfältig prüfen, ob ein Tatbestand i. S. d. § 119 einen Ausschluss i. S. d. § 120 Abs. 1 rechtfertigt. § 119 entbindet den Sozialleistungsträger unter bestimmten Voraussetzungen von der Pflicht zur Vorlage von Urkunden oder Akten oder zur Erteilung von Auskünften. Der Sozialleistungsträger kann dann i. S. d. § 120 Abs. 1 das Recht der Einsicht in die Akten ausschließen.

§ 106 Abs. 3 Nr. 1 ist durch das Justizkommunikationsgesetz v. 22.3.2005 (BGBl. I S. 837) um die Befugnis des Vorsitzenden erweitert worden, sich elektronische Dokumente übermitteln zu lassen.

2.4.2 § 106 Abs. 3 Nr. 2

 

Rz. 10

§ 106 Abs. 3 Nr. 2 ermächtigt zur Beiziehung verschiedener Befundunterlagen und Befundbilder. Die Beiziehung erfordert jedoch eine vorherige Mitwirkung des betreffenden Beteiligten in Gestalt der Abgabe einer Schweigepflichtentbindungserklärung. Auch insoweit gilt wieder, dass ein Unterlassen der Abgabe dieser Erklärung erhebliche beweisrechtliche Konsequenzen provozieren kann. Hat der Beteiligte ein berechtigtes Interesse daran, einen ihn behandelnden Arzt nicht von der Schweigepflicht zu entbinden, so ist er zur Vermeidung von Konsequenzen gehalten, die dies untermauernden Gründe dem Gericht darzulegen (zu den möglichen Konsequenzen vgl. Kommentierung zu § 103 Rz. 10.

Die Entbindung von der Schweigepflicht ist höchstpersönlich zu erklären. Eine anwaltliche oder anderweitige Vertretung bei dieser Erklärung ist ausgeschlossen, es sei denn, es liegt ein Fall gesetzlicher Vertretung vor, welche die Ermächtigung hierzu beinhaltet. Nach wie vor nicht hinreichend geklärt ist die Frage, ob bezüglich eines Verstorbenen Personen wie etwa der/die sozialrechtliche(n) Rechtsnachfolger, der/die Erbe(n) oder der/die nächste(n) Angehörige(n) die Entbindungserklärung abgeben darf/dürfen (vgl. zum Meinungsstand Leitherer, in: Meyer-Ladewig, § 107 Rn. 6 ff. sowie Zeihe, § 106 Rn. 19a ff.). Das Gebot aus Art. 19 Abs. 4 GG, effektiven Rechtschutz zu gewährleisten, spricht für diese Befugnis, sofern nicht besondere Umstände aus dem Persönlichkeitsbereich des Verstorbenen vorliegen.

Neben dem rechtlichen Problem der rechtswirksamen Entbindungserklärung begegnet den Gerichten in der Rechtspraxis wiederholt das Phänomen, dass Ärzte auf gerichtliche Beiziehungsversuche nicht reagieren. Durch ein Ordnungsgeld kann in derartigen Fällen die Vorlage der Unterlagen nicht erzwungen werden (vgl. Bay LSG, Urteil v. 3.4.1997, L 12 B 83/97 V, Breithaupt 1997 S. 924). Es besteht aber die Möglichkeit, den betreffenden ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge