Rz. 4

§ 114 Abs. 2 normiert den in der Praxis am häufigsten vorkommenden Aussetzungstatbestand. Die Entscheidung muss vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängen. Das Gericht hat sorgfältig zu prüfen, ob die Voraussetzung erfüllt ist. Gegebenenfalls müssen zunächst Ermittlungen durchgeführt werden, um feststellen zu können, ob die Abhängigkeit vorliegt. Erst wenn deren Ergebnis der Entscheidung der Streitsache entgegensteht, kann das Gericht aussetzen. Voraussetzung nach § 114 Abs. 2 ist es, dass das Rechtsverhältnis den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist. Im Gegensatz zu Abs. 1 verlangt Abs. 2 die Anhängigkeit des anderen Rechtsstreits. Hinsichtlich der Feststellung der Verwaltungsstelle ist zu fordern, dass diese Anlass zu der Feststellung hat. Ist die Feststellung etwa antragsgebunden, so muss ein Antrag gestellt sein.

 

Rz. 5

Die Aussetzungsentscheidung i. S. d. § 114 Abs. 2 betrifft nach dem Wortlaut der Vorschrift die Verhandlung. Darüber hinaus hat sie Folgen für das gesamte Verfahren, z. B. auch für einen Antrag auf Bewilligung von PKH. Hängt etwa die Entscheidung über die Gewährung von Elterngeld vom Ausgang eines Asylverfahrens ab, so sind der Rechtsstreit in der Hauptsache und das Verfahren auf Bewilligung von PKH bis zu einer bindenden Klärung der Asylberechtigung auszusetzen (vgl. BSG, Urteil v. 7.10.1991, 4 REg 12/91, SozR 3-1500 § 114 Nr. 2, zur Vorgängerleistung des Erziehungsgeldes).

 

Rz. 6

Prozessunfähigkeit eines Beteiligten führt nicht notwendigerweise zur Aussetzung. Die Aussetzung des Verfahrens bis zur Bestellung eines Betreuers für einen (auch partiell) Prozessunfähigen durch das Vormundschaftsgericht ist vielmehr unzulässig, da i. d. R. ein besonderer Vertreter zu bestellen ist (vgl. Bay LSG, Urteil v. 7.4.1999, L 13 B 56/99, NZS 1999 S. 416).

 

Rz. 7

Das Rechtsverhältnis i. S. d. § 114 Abs. 2 muss nicht unmittelbar die Beteiligten oder auch nur einen der Beteiligten betreffen. Erforderlich ist jedoch, dass eine Verbindung der Sachverhalte gegeben ist und die erforderliche Abhängigkeit festgestellt werden kann. Mit § 114a ist auch inzwischen eine Möglichkeit geschaffen worden, bei Anhängigkeit sog. Musterverfahren die Aussetzung zu beschließen. Die dortigen engen Tatbestandsvoraussetzungen sind indes zu beachten. Das Aussetzen eines Rechtsstreits ist nicht deshalb bereits möglich, weil die in dem Rechtsstreit zu entscheidende Rechtsfrage auch in einem zeitgleich anhängigen Revisionsverfahren anderer Parteien zu entscheiden ist (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 22.2.1996, L 4 Vs 106/95, juris; LSG BW, Urteil v. 26.7.2005, L 13 KN 1757/05, juris). Der Wunsch, den Ausgang von Musterverfahren abzuwarten, ist nachvollziehbar, einen Weg außerhalb des Anwendungsbereiches von § 114a ebnet jedoch allein die Anordnung des Ruhens des Verfahrens gemäß § 202 SGG i. V. m. § 251 ZPO (a. A. LSG Hessen, Urteil v. 27.9.2001, L 3 B 73/01 U, HVBG-INFO 2002 S. 2297 f.). Verständige Beteiligte werden sich dem nicht verschließen und einen entsprechenden Antrag stellen.

Nicht anders zu bewerten ist die Situation, wenn die zu klärende Rechtsfrage eine verfassungsrechtliche Tragweite besitzt und sogar dem BVerfG zur Prüfung vorliegt. Die Auffassung, aus Gründen der Prozessökonomie komme in solch einem Fall unter engen Voraussetzungen eine Aussetzung des Verfahrens in Betracht (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 27.10.1988, L 9 S 18/88, NJW 1989 S. 1181 f.; LSG BW, Beschluss v. 16.10.1996, L 5 Ka 3395/96, NZS 1997 S. 199 f.; mittelbar offenbar auch LSG Thüringen, Beschluss v. 29.7.2004, L 2 RA 461/04, juris), findet keine Grundlage im Gesetz. Der Zweite Senat des BSG hat vielmehr zutreffend darauf hingewiesen, dass die Frage der Verfassungswidrigkeit oder Nichtigkeit einer Norm kein Rechtsverhältnis i. S. d. § 114 Abs. 2 ist. Die Verfassungsbeschwerde ist auch kein zusätzlicher Rechtsbehelf zum fachgerichtlichen Verfahren. Sie ist vielmehr ein eigenständiges, besonderes Rechtsschutzmittel zur prozessualen Durchsetzung der Grundrechte und diesen gleichgestellten Rechte und hindert damit die Fachgerichte nicht, in weiteren Rechtsstreitigkeiten nach erneuter Überprüfung abschließend zu entscheiden (BSG, Beschluss v. 4.2.1997, 2 BU 316/96, juris; vgl. auch Bay LSG, Urteil v. 6.7.1987, L 8 B 107/87 Al, NZA 1988 S. 413; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 29.1.2008, L 21 B 1167/07 R, juris). Auch in solchen Fällen bietet sich – auf Antrag – die Anordnung des Ruhens an. Der Vierte Senat des BSG vertritt demgegenüber, ohne allerdings eine nähere Begründung hierfür abzugeben, die Auffassung, eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 114 sei möglich, wenn bereits ein Vorlagebeschluss beim BVerfG anhängig sei (BSG, Beschluss v. 23.8.2005, B 4 RA 28/03 R, SGb 2006 S. 166).

Spricht das BVerfG letztlich mit Gesetzeskraft aus, dass eine bestimmte Norm mit dem GG unvereinbar ist, so tritt mit Wirkung ex nunc ein Schwebezustand ein, während dessen die G...

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