1 Allgemeines
Rz. 1
§ 114 betrifft mit der Aussetzung nur eine Möglichkeit, ein Verfahren zum Stillstand zu bringen. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Anordnung des Ruhens des Verfahrens nach § 202 SGG i. V. m. § 251 ZPO. Die Aussetzung und die Anordnung des Ruhens verlangen einen Rechtsakt des Gerichts. Anders verhält es sich bei der Unterbrechung (vgl. § 202 SGG i. V. m. §§ 239 ff. ZPO), die von Gesetzes wegen ohne weiteres Zutun des Gerichts eintritt.
2 Rechtspraxis
2.1 Gesetzliche Aussetzungstatbestände
Rz. 2
§ 114 normiert Aussetzungstatbestände, denen in der Rechtsfolge gemein ist, dass die Anordnung der Aussetzung keine gebundene Entscheidung ist, sondern das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat, ob es die Aussetzung vorsehen will. § 114 ist keine abschließende Regelung. Sie wird insbesondere seit dem 1.4.2008 ergänzt durch den mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes v. 26.3.2008 (BGBl. I S. 444) in Kraft getretenen § 114a. Es existieren darüber hinaus weitere Aussetzungstatbestände innerhalb und außerhalb des SGG. In der Praxis bedeutsam ist § 202 SGG i. V. m. § 246 ZPO. Nach § 246 Abs. 1 HS 2 ZPO wird auf Antrag die Aussetzung des Verfahrens bei Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten in Fällen des Todes, des Verlustes der Prozessfähigkeit, des Wegfalls des gesetzlichen Vertreters, der Anordnung der Nachlassverwaltung oder des Eintritts der Nacherbfolge angeordnet. Anders als bei § 114 ist das Gericht bei Vorliegen eines dieser Tatbestände zur Aussetzung verpflichtet.
Entsprechendes gilt im Falle einer Untätigkeitsklage. Liegt zur Überzeugung des Gerichts ein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen worden ist, so setzt das Gericht das Verfahren nach Maßgabe von § 88 Abs. 1 Satz 2 bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, die verlängert werden kann.
Ein anderer bedeutsamer Fall der Aussetzung findet sich im Grundgesetz. Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG hat das Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung eines LVerfG bzw. des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt.
2.1.1 § 114 Abs. 1
Rz. 3
§ 114 Abs. 1 sieht die Möglichkeit der Aussetzung bis zur Feststellung eines familien- oder erbrechtlichen Verhältnisses im Zivilprozess vor. Voraussetzung ist, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von diesem Verhältnis abhängt. Es ist nicht erforderlich, dass ein Zivilprozess bereits anhängig ist. Steht ein Prozess jedoch noch gar nicht in Aussicht, bestehen sogar Hinderungsgründe tatsächlicher oder rechtlicher Natur, wird das Sozialgericht regelmäßig ermessensfehlerhaft handeln, wenn es in diesem Fall aussetzt, denn das Gericht ist nicht gehindert, die zivilrechtliche Vorfrage selbst zu prüfen. Das Sozialgericht ist auch grundsätzlich nicht an die rechtliche Würdigung des Zivilgerichts gebunden. Eine Bindung besteht nur dann, wenn durch das zivilgerichtliche Urteil ein Rechtsverhältnis gestaltet, etwa eine Scheidung ausgesprochen wird.
2.1.2 § 114 Abs. 2 und Abs. 2a
Rz. 4
§ 114 Abs. 2 normiert den in der Praxis am häufigsten vorkommenden Aussetzungstatbestand. Die Entscheidung muss vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängen. Das Gericht hat sorgfältig zu prüfen, ob die Voraussetzung erfüllt ist. Gegebenenfalls müssen zunächst Ermittlungen durchgeführt werden, um feststellen zu können, ob die Abhängigkeit vorliegt. Erst wenn deren Ergebnis der Entscheidung der Streitsache entgegensteht, kann das Gericht aussetzen. Voraussetzung nach § 114 Abs. 2 ist es, dass das Rechtsverhältnis den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist. Im Gegensatz zu Abs. 1 verlangt Abs. 2 die Anhängigkeit des anderen Rechtsstreits. Hinsichtlich der Feststellung der Verwaltungsstelle ist zu fordern, dass diese Anlass zu der Feststellung hat. Ist die Feststellung etwa antragsgebunden, so muss ein Antrag gestellt sein.
Rz. 5
Die Aussetzungsentscheidung i. S. d. § 114 Abs. 2 betrifft nach dem Wortlaut der Vorschrift die Verhandlung. Darüber hinaus hat sie Folgen für das gesamte Verfahren, z. B. auch für einen Antrag auf Bewilligung von PKH. Hängt etwa die Entscheidung über die Gewährung von Elterngeld vom Ausgang eines Asylverfahrens ab, so sind der Rechtsstreit in der Hauptsache und das Verfahren auf Bewilligung von PKH bis zu einer bindenden Klärung der Asylberechtigung auszusetzen (vgl. BSG, Urteil v. 7.10.1991, 4 REg 12/91, SozR 3-1500 § 114 Nr. 2, zur Vorgängerleistung des Erziehungsgeldes).
Rz. 6
Prozessunfähigkeit eines Beteiligten führt nicht notwendigerweise zur Aussetzung. Die Aussetzung des Verfahrens bis zur Bestellung eines Betreuers für einen (auch partiell) Prozessunfähigen durch das Vormundschaftsgericht ist vielmehr unzulässig, da i. d. R. ein besonderer Vertreter zu bestellen ist (vgl. Bay LSG, Urteil v. 7.4.1999, L 13 B 56/99, NZS 1999 S. 416).
Rz. 7
Das Rechtsverhältnis i. S. d. § 114 Abs. 2 muss nicht unmittelbar die Beteiligten oder auch nur einen...