Rz. 10
Nach der Rechtsprechung des BSG können Eigentümlichkeiten eines Sachverhalts in besonders gelagerten Einzelfällen Anlass sein, an den Beweis verminderte Anforderungen zu stellen (vgl. BSGE 19, 52, 56; BSGE 24, 25, 28; BSGE 41, 297). Ein solcher Ausnahmefall ist z. B. beim Tod eines Seemannes auf See aus unklarer Ursache ohne Obduktionsmöglichkeit (BSGE 19, 52, 56) oder bei einer unfallbedingten Erinnerungslücke des Verletzten (BSG, Urteil v. 12.6.1990, 2 RU 58/89) anerkannt worden. Das BSG reduziert nicht den Beweismaßstab (z. B. bloße Wahrscheinlichkeit statt des vollen Nachweises), sondern meint, dass das Tatsachengericht schon auf Grund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein könne.
Von den genannten Ausnahmefällen abgesehen, so betont das BSG, sind nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung typische Beweisschwierigkeiten, die sich aus den Besonderheiten des Einzelfalls ergeben, ohnehin im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Es bleibt deshalb dem Tatsachengericht überlassen, je nach den Besonderheiten des maßgebenden Einzelfalls schon einzelne Beweisanzeichen - im Extremfall ein Indiz – ausreichen zu lassen für die Feststellung einer Tatsache oder der daraus abgeleiteten Bejahung der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, USK 99115). Allgemeingültige Grundsätze zur Beweiserleichterung für den Fall des Beweisnotstands würden dagegen dem in § 128 Abs. 1 Satz 1 verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung widersprechen (BSG, USK 99115; kritisch dazu Keller, SGb 1995, 474). Zur Einräumung von Beweiserleichterungen bei unverschuldeter Beweisnot (erstmalige Möglichkeit der Geltendmachung von Hinterbliebenenansprüchen in den neuen Bundesländern) siehe BSG, Urteil v. 12.12.1995, 9 RV 14/95; Breithaupt 1995, 731 (vgl. aber BSG, Urteil v. 13.12.1994, 9/9a RV 9/92 zur Verstärkung einer Beweisnot durch grundlose Unterlassung rechtzeitiger Antragstellung; vgl. auch Dahm, Die sozialgerichtliche Behandlung des sogenannten "Beweisnotstandes" im sozialen Entschädigungsrecht und im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, ZfS 2002, 310).
Bei einem Beweisnotstand, auch wenn er auf einer fehlerhaften Beweiserhebung oder sogar auf einer Beweisvereitelung durch denjenigen beruht, dem die Unerweislichkeit der Tatsachen zum prozessualen Vorteil gereicht, tritt nach wohl h. M. aber keine Umkehr der Beweislast ein (ausdrücklich gegen eine Beweislastumkehr im sozialen Entschädigungsrecht z. B. BSG, Urteil v. 18.5.2006, B 9a V 2/05 R, vgl. aber Urteil v. 30.11.2006, B 9a VS 1/05 R; für das Unfallversicherungsrecht verneinend z. B. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 19.11.2007, L 27 U 5/05 R; vgl. zur Beweisvereitelung die ausführliche Darstellung des Meinungsstandes bei Höfling, in: Sodan/Ziekow, § 108 Rz. 142 ff.). Vielmehr seien die Tatsachengerichte in einem derartigen Fall berechtigt, im Rahmen der vielfältigen Möglichkeiten der Beweiswürdigung an den Beweis der Tatsachen, auf die sich der Beweisnotstand bezieht, weniger hohe Anforderungen zu stellen (BSGE 24, 25; BSG, SozR-150 § 128 Nr. 11; BVerwGE 10, 270 s. a. unten).
In diesem Zusammenhang ist auch § 444 ZPO zu beachten, der gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 anwendbar ist. Hiernach können die Behauptungen des Gegners über die Beschaffenheit und den Inhalt einer Urkunde als bewiesen angesehen werden, wenn eine Urkunde von einer Partei in der Absicht, dem Gegner ihre Benutzung zu entziehen, beseitigt oder zur Benutzung untauglich gemacht wird. Diese Anwendung dieses Prinzips wird für jede Art des Beweises, sei es Zeugen-, Sachverständigen-, Augenscheins-, Urkundenbeweis oder Parteivernehmung diskutiert (vgl. Scheiber, in: MüKoZPO, § 444 Rz. 6). Durch das BSG (vgl. BSG, Urteil v. 10.8.1993, 9/9a RV 10/92, Rz. 14) ist im Falle einer unterbliebenen Obduktion durch die Versorgungsverwaltung auf dieser Grundlage eine Beweiserleichterung in Betracht gezogen worden.
Das BSG spricht allerdings in verschiedenen Entscheidungen z. B. des 7. und 11. Senats davon, "die Grundsätze der Beweislastumkehr" könnten eingreifen, wenn es um die Sphäre des Arbeitslosen gehe, die die Beklagte in Ermangelung entsprechender Angaben des Arbeitslosen nicht kenne und nicht mehr kennen müsse (vgl. z. B. BSG, Urteil v. 2.9.2004, B 7 AL 88/03 R; BSG, Urteil v. 28.8.2007, B 7/7a AL 10/06 R; B 11a AL 49/05 R; BSG, Urteil v. 13.9.2006, B 11a AL 19/06 R; B 11a AL 21/06 R). Das BSG stellt aber etwa im Urteil v. 2.9.2004, a. a. O., keine allgemeinen Grundsätze zur Beweislastumkehr auf, die wohl auch nicht existieren, sondern nimmt Bezug auf das Urteil v. 29.11.1992 (7 Rar 38/92), wo nicht von Beweislastumkehr die Rede ist, sondern es nach allgemeinen Regeln (s. o.) die Zurechnung der Ungewissheit bzw. Unaufklärbarkeit zur Verantwortungssphäre des Arbeitslosen vornimmt, der verspätet einen wichtigen Grund für die Arbeitsablehnung geltend gemacht hat, für dessen Nichtvorliegen im Regelfall die Beklagte die obje...