Rz. 14
Revisionsgerichtlich überprüfbar ist die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts auch darauf, ob das Gesamtergebnis des Verfahrens (vgl. Rz. 2) berücksichtigt worden ist (vgl. BSG, Urteil v. 17.9.2020, B 4 AS 22/20 R, Rz. 29). Zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten. Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten liegt u. a. vor, wenn das Gericht eine nach Aktenlage feststehende Tatsache, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätte einfließen müssen, unberücksichtigt lässt oder einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht (vgl. BFH, Beschluss v. 8.6.2011, X B 245/10 zu § 96 FGO). § 128 ist auch verletzt, wenn das Gericht nicht alle bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragenen oder bekannt gewordenen Umstände berücksichtigt (vgl. hierzu und zur Frage der Berücksichtigung von Schriftsätzen im Falle einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren die Komm. in Rz. 17 ff. zu § 124). In den Prozess der Rechtsfindung müssen alle Tatsachen und Erkenntnisse Eingang gefunden haben, die nach Lage der Akten von Erheblichkeit sind (vgl. BVerwG, Beschluss v. 20.11.2007, 8 B 29/07). Das Gericht darf insbesondere nicht einem Gutachten folgen, ohne sich mit einem davon abweichenden weiteren Gutachten auseinanderzusetzten. Das Gericht überschreitet die Grenzen seines Rechts, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, dann nicht, wenn es im Falle eines Auseinandergehens medizinischer Meinungen über die Auswirkungen einer Krankheit – unter abwägender und sachentsprechender Würdigung des Einzelfalls – einer nicht nur vereinzelt vertretenen medizinischen Auffassung folgt, mögen auch anerkannte Wissenschaftler eine andere medizinische Lehrmeinung vertreten (vgl. BSG, SozR Nr. 33 zu § 128 SGG). Ein Verstoß gegen § 128 Abs. 1 liegt jedoch vor, wenn das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt übergangen hat; das Urteil lässt dann nämlich nicht erkennen, dass das Gericht seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildet hat (vgl. BSG, SozR Nr. 10 zu § 128 SGG; BSG, rv 1999, 194). Ein Verstoß gegen das Gebot des § 128, seine Überzeugungsbildung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnen, kann ferner dadurch eintreten, dass das Gericht den tatsächlichen Prozessstoff verkennt, indem es vertragliche Regelungen falsch liest oder sprachlich falsch versteht (vgl. BGH, NJW 1993, 538; BVerwG, Beschluss v. 6.11.2001, 9 B 46/01).