Rz. 18
Nach dem gemäß § 202 auch im Verfahren der Sozialgerichte entsprechend anwendbaren § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. z. B. BSG, Urteil v. 15.12.1995, 11 RAr 175/95; entsprechend für § 108 VwGO: BVerwG, NVwZ 1995, 373) "kann" ein Termin aus "erheblichen Gründen" aufgehoben oder verlegt oder eine Verhandlung vertagt werden. Aus dem "kann" in § 227 ZPO wird nach der Rechtsprechung ein "muss", wenn andernfalls die betroffene Partei in ihrem grundrechtlich geschützten Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, verletzt würde (vgl. BVerfGE 25, 158, 166; BVerfGE 6, 315, 319; BSG, Urteil v. 30.10.2001, B 4 RA 49/01 R; SozR 3-1750 § 227 Nr. 1 m. w. N.; BVerwGE 81, 229; BVerwG, NVwZ 1995, 373). Deshalb eröffnet ein erheblicher Grund für die Terminsaufhebung nicht nur die Möglichkeit, sondern begründet sogar die Pflicht zur Terminsverlegung (BSG, Urteil v. 21.10.2001, B 4 RA 49/01 R m. w. N.). Eine Ablehnung einer beantragten Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung, die aus erheblichen Gründen geboten gewesen wäre, kann den Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs verletzen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann in der Revisionsinstanz allerdings nicht mehr mit Erfolg gerügt werden, wenn das Rügerecht durch schuldhaftes Unterlassen seiner Geltendmachung gemäß § 295 ZPO i. V. m. § 202 SGG in der Berufungsinstanz verloren gegangen ist (BSG, Urteil v. 20.3.1997, 2 BU 275/96). Verhandelt und entscheidet das Gericht zur Sache, obwohl der Kläger, dessen persönliches Erscheinen (§ 111 Abs. 1) zur mündlichen Verhandlung angeordnet war, dem Gericht erhebliche Gründe für sein Ausbleiben mitgeteilt hat, dann soll nach LSG Rheinland-Pfalz (Beschluss v. 7.2.1997, L 1 B-Ar 15/96) ein Verfahrensmangel in der Form eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs nicht vorliegen, wenn der Kläger vorher auf die Möglichkeit der Verhandlung und Entscheidung im Falle seines Ausbleibens ausreichend hingewiesen worden ist. Will das Gericht in der Sache entscheiden, wenn ein Beteiligter, dessen persönliches Erscheinen nach § 111 Abs. 1 angeordnet worden war, nicht erschienen ist, kann es im Termin die Anordnung des persönlichen Erscheinens aufheben, wenn dessen Erscheinen zur Aufklärung des Sachverhaltes nicht erforderlich gewesen ist.
Rz. 19
Die entsprechende Anwendung des § 227 Abs. 1 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren hat grundsätzlich zu bedenken, dass die Erscheinungen, die für beschleunigende Verfahrensregelungen im Zivilprozess Anlass gegeben haben, im sozialgerichtlichen Verfahren nicht in gleicher Weise und in gleichem Umfang bedeutsam sind. Da nicht in jedem sozialrechtlichen Verfahren ein dem Zivilprozess vergleichbares Beschleunigungsbedürfnis anzuerkennen sei, hält das BSG eine "funktionsdifferente Auslegung" (vgl. z. B. BSGE 73, 126, 128 m. w. N.) im sozialgerichtlichen Verfahren für geboten. Das rechtliche Gehör dürfe nicht durch eine "Überbeschleunigung" verletzt werden (vgl. BSG, SozR 3-1750 § 227 Nr. 1).