Rz. 30
Die Verpflichtungsklage zielt auf die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (§ 54 Abs. 1 Satz 1; vgl. auch §§ 42 Abs. 1, 113 Abs. 5 VwGO). Es handelt sich um eine Leistungsklage besonderer Art (vgl. BSGE 5, 60, 63; vgl. auch die Komm. in Rz. 6 zu § 125). Weil die Verpflichtungsklage stets voraussetzt, dass der Erlass eines Verwaltungsakts erforderlich ist, kommt sie wegen § 54 Abs. 4 nicht in Betracht, wenn der Kläger Rechtsanspruch auf die Leistung hat, wie es vor allem bei Ansprüchen auf Renten oder auf Arbeitslosengeld der Fall ist. Der Kläger muss dann die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4) erheben. Die isolierte Verpflichtungsklage ist deshalb im Sozialrecht relativ selten. Raum für sie ist insbesondere dort, wo es um Ermessensleistungen (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 131 Rz. 20b) oder um feststellende oder statusbegründende Verwaltungsakte (vgl. BSG, Urteil v. 26.6.2014, B 2 U 12/13 R, Rz. 14) geht. Die Verpflichtungsklage ist nach der Rechtsprechung des BSG im Falle der Klage auf Vormerkung von rentenrechtlichen Zeiten (BSG, SozR 3-2600 § 58 Nr. 2), der Klage auf Nachentrichtung von Beiträgen (vgl. BSG, SozR 2200 § 1418 RVO Nr. 2; SozR 3-2200 § 1232 Nr. 2) und bei der Klage auf Feststellung des Grades der Behinderung (vgl. die Komm. in Rz. 6 ff. zu § 54) richtige Klageart. Für den Fall der Ablehnung eines Antrags nach § 44 SGB X (früher sog. Zugunstenantrag) ist streitig, ob es neben der Anfechtungs- und Leistungs- oder Feststellungsklage einer zusätzlichen Verpflichtungsklage bedarf, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren, dem Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben. Die h. M. bejaht dies (vgl. BSG, Urteil v. 20.12.2012, B 7 AY 4/11 R, Rz. 10; BSG, Urteil v. 9.6.2011, B 8 AY 1/10 R; BSG, Urteil v. 18.5.2010, B 7 AL 47/08 R; Urteil v. 5.5.2010, B 12 KR 15/09 R; Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 16/08 R; BSG, Urteil v. 24.7.2003, B 4 RA 62/02 R; BSG, Urteil v. 10.4.2003, B 4 RA 56/02; BSG, Urteil v. 5.11.1997, 9 RV 4/96; BSG, Urteil v. 28.6.1995, 7 RAr 20/94; BSG, Urteil v. 25.1.1994, 4 RA 20/92; BSG, Urteil v. 19.9.1979, 9 RV 68/78; BSG, Urteil v. 18.2.1965, 1 RA 90/61; Steinwedel, in: KassKomm SGB X, § 44 Rz. 16; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 54 Rz. 20c). Demgegenüber hat zwischenzeitlich der 2. Senat des BSG die Auffassung vertreten (Urteil v. 5.9.2006, B 2 U 24/05 R; so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 10.3.2008, L 1 U 2511/07; ebenso Krasney/Udsching, Kap. IV Rz. 76; Ulmer, in: Hennig, SGG, § 54 Rz. 106), es bedürfe keiner zusätzlichen Verpflichtungsklage, eine Feststellungsklage habe Vorrang. Die Auffassung, dass ein Verwaltungsakt nach Eintritt der Bindungswirkung nicht mehr vor Gericht angefochten, sondern nur noch im Zugunstenverfahren zurückgenommen werden könne und dass hierüber nach § 44 Abs. 3 SGB X die zuständige Verwaltungsbehörde entscheide, rechtfertige nicht den Schluss, dass auch im Prozess über die Ablehnung des Zugunstenantrags die Rücknahmeentscheidung nicht vom Gericht ersetzt werden könne. Wäre es anders, käme eine mit dem Verpflichtungsantrag verbundene Leistungsklage – die auch von der Gegenmeinung für zulässig gehalten werde – aus systematischen Gründen nicht in Betracht. Denn die Verwaltungsbehörde könne nicht zur Leistung verurteilt werden, ehe der entgegenstehende bestandskräftige (Ausgangs-)Bescheid beseitigt ist und solange nur die Behörde verpflichtet ist, ihn zurückzunehmen. Richtigerweise könne deshalb mit der Anfechtungsklage gegen den eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Bescheid zugleich die Aufhebung des früheren, dem Klageanspruch entgegenstehenden (Ausgangs-)Bescheids unmittelbar durch das Gericht verlangt werden. Diese Auffassung hat der 2. Senat des BSG zwischenzeitlich wieder aufgegeben (vgl. BSG, Urteil v. 30.1.2020, B 2 U 2/18 R, Rz. 9).
Rz. 31
Hat die Beklagte über den Antrag nicht entschieden (§ 131 Abs. 3), stellt die Verpflichtungsklage eine Untätigkeitsklage (§ 88) dar. Hat die Behörde den Erlass des Verwaltungsakts abgelehnt (sog. Vornahme- bzw. Weigerungsklage), ist die Verpflichtungsklage mit dem Antrag auf Aufhebung der ablehnenden Entscheidung der Behörde verbunden, welcher keine selbständige Bedeutung hat (vgl. BSGE 8, 256, 258; Wenner/Terdenge/Martin, S. 102 Rz. 159) und die Klage nicht zu einer Verbindung von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage macht (vgl. Schmidt, in: Eyermann, VwGO, § 113 Rz. 33; vgl. auch die Komm. in Rz. 7 zu § 54). Teilweise wird in der Literatur der Antrag auf Aufhebung des Verwaltungsakts und der entsprechende Ausspruch des Gerichts für entbehrlich oder gar unzulässig gehalten. Die h. M. sieht jedoch die Aufhebung als zweckmäßig an (vgl. dazu die Darstellung bei Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113 Rz. 38 und bei Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 131 Rz. 13). Sie ist auch üblich. Zu der Frage der Aufhebung des Ablehnungsbescheids bei Verpflichtungsentscheidung ex tunc ...