Rz. 5
Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Schriftstückes nicht nachweisen oder ist das Schriftstück unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, gilt nach § 189 ZPO das Schriftstück in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Die Heilung kommt bei jeder Zustellung, also auch dann in Betracht, wenn mit ihr die Frist für die Erhebung eines Rechtsmittels beginnt (vgl. z. B. Cybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 56 Rz. 83; v. Albedyll, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/v. Albedyll, VwGO, § 56 Rz. 20). Allerdings wurden gemäß § 9 Abs. 2 VwZG (mit Wirkung ab 1.7.2002 durch ZustRG entfallen) bei Zustellungsmängeln die in ihm genannten Fristen nicht in Lauf gesetzt und sah § 187 Satz 2 ZPO in der bis zum 30.6.2002 geltenden Fassung eine entsprechende Einschränkung für den Lauf von Notfristen vor; mit § 189 ZPO in der ab 1.7.2002 geltenden Fassung des ZustRG ist diese Einschränkung jedoch entfallen. Streitig ist, ob neben Mängeln des Zustellungsvorgangs auch solche des Zustellungsgegenstands, des Schriftstücks selbst geheilt werden können (verneinend Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 63, 21a; Engelhardt/App, § 15 Rz. 14; wohl auch Kopp/Schenke, VwGO, § 56 Rz. 40; a. A. BVerwG, Beschluss v. 9.10.1998, 4 B 98/98; BSGE 34, 211, 215).
Rz. 6
Weicht die zugestellte Ausfertigung von der Urschrift ab, führt dies nur dann zur Unwirksamkeit der Zustellung, wenn die Abweichung wesentlich ist (vgl. BGH, Beschluss v. 24.1.2001, XII ZB 75/00 m. w. N.; BGH, Beschluss v. 29.11.2006, XII ZB 194/05). Als wesentliche Abweichung ist es nur anzusehen, wenn die Mängel der Ausfertigung geeignet sind, die Entschließung des Zustellungsempfängers über die Einlegung eines Rechtsmittels zu beeinflussen. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn dieser aus der Ausfertigung den Inhalt der Urschrift und den Umfang seiner Beschwer nicht erkennen kann (BGH, Beschluss v. 30.9.1981, IVb ZB 805/81; BGH, Beschluss v. 29.11.2006, XII ZB 194/05). Nach der Rechtsprechung des BVerwG kann eine mit einem Formfehler behaftete Entscheidung wirksam sein, nämlich wenn die Abschrift mit der Urschrift übereinstimmt, die Zustellung vom Urkundsbeamten veranlasst ist und kein Anhalt dafür besteht, dass entgegen dem Willen des Gerichts den Parteien missbräuchlich ein bloßer Entwurf der Entscheidung mitgeteilt worden ist (BVerwG, Beschluss v. 9.10.1998, 4 B 98/98, zum Fehlen eines Ausfertigungsvermerks; vgl. auch BGHZ 15, 142). Im Anschluss an die genannte Entscheidung des BVerwG bejaht auch das LSG Berlin-Brandenburg die Möglichkeit der Heilung des Zustellungsgegenstandes (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 17.1.2008, L 15 B 4/08 SO ER).
Rz. 7
Unwirksam ist eine Zustellung, wenn sie unter einem besonders schweren und unheilbaren Mangel leidet, was nur ausnahmsweise bei einem Verstoß gegen grundlegende zwingende Vorschriften angenommen werden kann. Beispiele hierfür sind:
- Das ohne mündliche Verhandlung ergangene Urteil ist nur von 2 der 3 Berufsrichter unterzeichnet und trägt auch keinen Ersetzungsvermerk (BVerwG, DÖV 1993, 719);
- Verlautbarung eines Urteils mit einer Entscheidungsformel, die mit dem tatsächlich beschlossenen Tenor in wesentlichen Punkten nicht übereinstimmt (Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 116 Rz. 12);
- die Ausfertigung des Urteils weicht nicht unwesentlich von dem vom Richter einschließlich der Rechtsmittelbelehrung unterzeichneten Original ab (vgl. BSG, Urteil v. 9.2.1989, 3 BK 25/88);
- versehentliche Übersendung eines Urteilsentwurfs (Zeihe, SGG, § 133 Rn. 3e);
- Zustellung an einen Prozessunfähigen (Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 56 Rz. 80 m. w. N.).
- Überschreiten der Frist von 5 Monaten seit der Urteilsberatung (vgl. BSG, Urteil v. 3.3.1994, 1 RK 6/93, Rz. 12; vgl. auch die Komm. zu § 134 Rz. 7).