Rz. 4
Wegen des Begriffs des Anspruchs ist zunächst auf die Rn. 3 bis 5 zu § 123 zu verweisen. Anspruch in § 140 ist der prozessuale Anspruch (vgl. BGH, MDR 1996, 1061). Die VwGO spricht in § 120 VwGO von einem "gestellten Antrag". Es muss sich also nicht um einen materiellen Anspruch i. S.e. Forderung handeln. Als übergangen kommen deshalb z. B. auch Anträge auf Zwischenfeststellung in Betracht (vgl. BSG, Beschluss v. 5.8.1999, B 14 KG 3/99 B). Bei dem übergangenen Anspruch kann es sich auch um einen Verweisungsantrag (so Redeker/von Oertzen, VwGO, § 120 Rz. 1), einen Hilfsantrag, wenn wegen Unbegründetheit des Hauptantrags über ihn hätte entschieden werden müssen, oder eine Widerklage handeln (allg. Meinung vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 140 Rz. 2; Schütz, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 140 Rz. 10; Wolff-Dellen, in: Fichte/Jüttner, SGG, § 140 Rz. 3; Mey, 535 Rz. 33; BVerwG, Urteil v. 10.11.1988, 3 C 19/87, Rz. 49; VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 18.10.1993, 8 S 1739/93, Rz. 26). Dagegen wird das Übergehen einzelner Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht erfasst (vgl. BGH, NJW 1980, 840; BSG, SozR 3-2500 § 87 Nr. 4), denn § 140 dient nur der Ergänzung eines lückenhaften Urteils und nicht der Richtigstellung einer falschen Entscheidung (vgl. BGH, VersR 1980, 263 f.) und erlaubt es nicht, fehlende Tatsachenfeststellungen "nachzubessern" oder bei Verkennung eines unteilbaren Streitgegenstandes die getroffene Entscheidung durch eine andere zu ersetzen (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 87 Nr. 4; Bay. LSG, Beschluss v. 23.2.2011, L 13 R 907/09 B). Der BGH betont jedoch, dass daraus nicht folge, dass die Ergänzung eines lückenhaften Urteils immer dann unzulässig ist, wenn durch sie zugleich auch eine sachliche Unrichtigkeit der Entscheidung behoben wird (vgl. BGH, MDR 1996, 1061 für die Einrede der Haftungsbeschränkung mit weiteren Beispielen, die im sozialgerichtlichen Verfahren ohne Relevanz sein dürften). Das BSG nimmt einen Fall der Urteilsergänzung auch dann an, wenn die Verurteilung zu einer Verletztenrentengewährung keine Entscheidung über den Beginn der Rente enthält, ohne die das Urteil nicht ausführbar wäre. Mangels Entscheidung des LSG über den Rentenbeginn weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen sei ein notwendiger Teil des Anspruchs übergangen worden, weil nicht entschieden worden sei, ab wann dem Kläger die Rente zustehe. Solange ein entsprechender Ergänzungsantrag bei dem LSG nicht gestellt sei, sei die auf diese Unvollständigkeit der Entscheidung des LSG gestützte Nichtzulassungsbeschwerde (Anm.: der beklagten Unfallkasse) unzulässig, denn insofern gebe es mit dem Antrag auf Urteilsergänzung einen spezielleren und vorrangigen Rechtsbehelf gegenüber der Nichtzulassungsbeschwerde an das BSG, und der einfachere Weg des Ergänzungsantrags habe für die Erreichung des Ziels Vorrang (vgl. BSG, Beschluss v. 16.7.2004, B 2 U 41/04 B unter Hinweis auf die entsprechende Rechtsprechung des BSG zu einem Antrag auf Urteilsberichtigung nach § 138, BSG, Beschluss v. 13.4.2000, B 7 AL 222/99 B). Diese Praxis des BSG mag praktikabel erscheinen, weil auf diese Weise das LSG, das den Fehler begangen hat, auf recht einfache Weise in die Lage versetzt werden kann (von Amts wegen kann es nicht tätig werden), den Streit nunmehr umfassend zu entscheiden. Die Frage des Beginns einer Rente ist aber kein vom Rentenanspruch trennbarer "Anspruchsteil". Deshalb kann die Frage des Rentenbeginns kein noch beim LSG anhängig gebliebener Anspruch oder Anspruchsteil sein, hinsichtlich dessen nach Ablauf der Frist für die Urteilsergänzung (§ 140 Abs. 1 Satz 2) die Rechtshängigkeit entfallen würde. Hier könnte also § 140 allenfalls entsprechend anwendbar sein. Weil nicht nur die Nichtzulassungsbeschwerde, sondern auch der Ergänzungsantrag an eine Frist gebunden ist, die zwischenzeitlich verstrichen sein wird, dürfte in dem vom BSG entschiedenen Fall die Beklagte nun doch gezwungen sein, eine Verletztenrente zu gewähren, obwohl der Rentenbeginn im fehlerhaften Urteil des LSG nicht festgelegt war und er sich ihm auch nicht entnehmen ließ. Wenn der Kläger mit dem von der Beklagten im anschließenden Ausführungsbescheid festgelegten Rentenbeginn nicht einverstanden ist, kann er wiederum klagen. In einem solchen Fall hat der Ausführungsbescheid, der ansonsten regelmäßig keine Regelung i. S. d. § 31 SGB X enthält (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 85 Nr. 27; Engelmann, in: von Wulffen, § 31 Rz. 30), Regelungsfunktion, die ihm die Verwaltungsaktqualität verleiht, weil der Urteilsausspruch zu unbestimmt war und er zur Festlegung des Rentenbeginns noch einer Konkretisierung bedurfte (vgl. zum Umfang der Rechtskraft eines unvollständigen Urteils BSG, Beschluss v. 18.9.2003, B 9 V 82/02; BVerwG, NVwZ 1994, 117).
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch stellt jedoch keinen Anspruch i. S. d. § 140 dar, denn er führt nur dazu, dass bestimmte Tatbestandselelemente einer Anspruchsnorm als erfüllt anzusehen sind, wie z. B. die Einhal...