1 Allgemeines
Rz. 1
Die zunächst unverändert gebliebene Norm ist mit Wirkung zum 1.1.2018 durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs (EAJEGuERVFöG) v. 5.7.2017 (BGBl. I S. 2208) geändert worden. In Abs. 4 wurde Satz 2 angefügt, der eine Regelung für den Fall trifft, dass das Urteil als elektronisches Dokument vorliegt.
Rz. 1a
§ 140 ist § 321 ZPO nachempfunden. Parallelvorschriften sind § 120 VwGO und § 109 FGO, wobei in den anderen Prozessordnungen die Antragsfristen kürzer sind. § 140 dient der Rechtssicherheit und der Prozessökonomie. Ein Urteil, das unbeabsichtigt einen Teil des Streitgegenstands unbeschieden lässt, ist fehlerhaft, es verstößt gegen § 123 (vgl. dazu Rz. 7 zu § 123). Ein derart fehlerhaftes Urteil kann grundsätzlich mit dem jeweils gegebenen Rechtsmittel (Berufung, Revision, Nichtzulassungsbeschwerde) angefochten werden. Bei einer bestimmten Art des Zustandekommens des Fehlers ist jedoch statt des Rechtsmittelverfahrens das Urteilsergänzungsverfahren nach § 140 vorgesehen, wenn ein nach dem Tatbestand von einem Beteiligten erhobener Anspruch bzw. die Kostenfolge bei der Entscheidung versehentlich nicht beschieden worden ist. So ist nach der Rechtsprechung des BSG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gegeben, soweit ein Antrag auf Urteilsergänzung statthaft ist (vgl. BSG, Beschluss v. 18.8.1999, B 4 RA 25/99; BSG, Beschluss v. 16.7.2004, B 2 U 41/04 B; vgl. dazu aber auch unten bei Rn. 4 und 6). Denn die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a sei keine Untätigkeitsbeschwerde gegen den Nichterlass eines Urteils durch das Berufungsgericht. Da die Revision und die sie ggf. erst eröffnende Nichtzulassungsbeschwerde keine originären Rechtsbehelfe, sondern Rechtsmittel seien, müsse sich die Entscheidung des BSG als Revisionsgericht auf den Streitgegenstand beschränken, der auch Gegenstand des angefochtenen Urteils war. Daher stehe die Nichtzulassungsbeschwerde in den Fällen nicht offen, in denen eine Urteilsergänzung nach § 140 Abs. 1 beansprucht werden kann (vgl. BSG, SozR 3-1500 § 96 Nr. 9). § 140 ergänzt die §§ 138, 139. Während diese Vorschriften die Berichtigung eines bereits erlassenen Urteils betreffen, geht es bei § 140 darum, eine Entscheidungslücke zu schließen (vgl. BGH, NJW 1980, 840, 841). Dadurch wird der Grundsatz der Selbstbindung des Gerichts nach § 138 nicht durchbrochen, da über den nach § 140 zu entscheidenden Teil gerade noch keine Entscheidung ergangen ist. Durch § 140 wird allerdings der Grundsatz der Selbstbindung tangiert, als es dem Gericht ermöglicht wird, sich erneut mit einem von ihm als beendet betrachteten Streitfall zu befassen (vgl. Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 120 Rz. 1).
2 Rechtspraxis
2.1 Anwendungsbereich
Rz. 2
Die Urteilsergänzung ist in allen Rechtszügen bei Urteilen und Gerichtsbescheiden möglich. Die h. M. wendet die Vorschrift bei Beschlüssen entsprechend an, soweit darin über Ansprüche entschieden worden ist, wie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. BSG, SozR 3-1500 § 140 Nr. 2 m.w.N; BSG, SozR 3-1720 § 17a Nr. 7; Bay. LSG, Beschluss v. 24.5.2018, L 7 AS 328/18 B ER, Rz. 37; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 142 Rz. 3; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 142 Rz. 3a m. w. N.; a. A. Zeihe, SGG, § 140 Rz. 2). Es geht nicht um die Richtigstellung eines von einem Beteiligten für falsch gehaltenen Urteils, sondern um die Ergänzung eines lückenhaften Urteils (vgl. Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 140 Rz. 1 m. w. N.).
2.2 Voraussetzungen
Rz. 3
Die Urteilsergänzung setzt voraus, dass ein von einem Beteiligten erhobener Anspruch (oder der Kostenpunkt) ganz oder teilweise versehentlich übergangen worden ist.
2.2.1 Erhobener Anspruch/Kostenpunkt/Rechtsmittelzulassung
Rz. 4
Wegen des Begriffs des Anspruchs ist zunächst auf die Rn. 3 bis 5 zu § 123 zu verweisen. Anspruch in § 140 ist der prozessuale Anspruch (vgl. BGH, MDR 1996, 1061). Die VwGO spricht in § 120 VwGO von einem "gestellten Antrag". Es muss sich also nicht um einen materiellen Anspruch i. S.e. Forderung handeln. Als übergangen kommen deshalb z. B. auch Anträge auf Zwischenfeststellung in Betracht (vgl. BSG, Beschluss v. 5.8.1999, B 14 KG 3/99 B). Bei dem übergangenen Anspruch kann es sich auch um einen Verweisungsantrag (so Redeker/von Oertzen, VwGO, § 120 Rz. 1), einen Hilfsantrag, wenn wegen Unbegründetheit des Hauptantrags über ihn hätte entschieden werden müssen, oder eine Widerklage handeln (allg. Meinung vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 140 Rz. 2; Schütz, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 140 Rz. 10; Wolff-Dellen, in: Fichte/Jüttner, SGG, § 140 Rz. 3; Mey, 535 Rz. 33; BVerwG, Urteil v. 10.11.1988, 3 C 19/87, Rz. 49; VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 18.10.1993, 8 S 1739/93, Rz. 26). Dagegen wird das Übergehen einzelner Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht erfasst (vgl. BGH, NJW 1980, 840; BSG, SozR 3-2500 § 87 Nr. 4), denn § 140 dient nur der Ergänzung eines lückenhaften Urteils und nicht der Richtigstellung einer falschen Entscheidung (vgl. BGH, VersR 1980, 263 f.) und erlaubt es ...