Rz. 38
Eine Beseitigung der Rechtskraft ist durch die Wiederaufnahme nach §§ 179 ff. und die Wiedereinsetzung nach § 67, welche zur rückwirkenden Beseitigung der bereits eingetretenen Rechtskraft führt (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, § 121 Rz. 50; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 141 Rz. 21; nach Zeihe wird das Urteil dagegen so angesehen, als sei die Rechtsmittelfrist nicht versäumt worden, SGG, vor § 141 Anm. 2 C), ferner aufgrund einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde (§§ 90, 95 BVerfGG) möglich (zur Anhörungsrüge vgl. unten Rz. 41).
Rz. 39
Ob eine Änderungsklage nach § 323 ZPO im Verfahren der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit möglich ist, ist streitig. Ihr Anwendungsbereich ist jedenfalls wegen § 48 SGB X gering (vgl. z. B. Zeihe, SGG, vor § 141 Anm. 2 A; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 141 Rz. 22; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rz. 110).
Rz. 40
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH muss die Rechtskraft eines Urteils zurücktreten, wenn sie sittenwidrig herbeigeführt oder ausgenutzt wird (vgl. z. B. BGHZ 40, 74; BGHZ 50, 115; BGHZ 101, 380 ausführlich zu den Voraussetzungen). Die tragenden Grundgedanken dieser Rechtsprechung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gelten nach der Rechtsprechung des BSG auch für Urteile der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (BSGE 60, 251, 253 f.; BSG, SozR 3-1500 § 141 Nr. 15 mit Ausführungen auch zum Verhältnis zu §§ 44, 45 SGB X; BSG, Urteil v. 8.9.2015, B 1 KR 1/15 R, Rz. 18; vgl. auch BVerwG, Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 23; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 141 Rz. 20; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 121 Rz. 16; Rennert, in: Eyermann, VwGO, § 121 Rz. 54; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rz. 114 ff.; a. A. Zeihe, SGG, vor § 141 Anm. 2 B; GK-Bley, SGG, § 141 Anm. 5c.cc).
Rz. 41
Während anerkannt ist, dass unanfechtbare Beschlüsse, soweit sie auf einem groben Verstoß gegen wesentliche Verfahrensgrundsätze beruhen, auf außerordentliche Beschwerde oder Gegenvorstellung einer Korrektur unter Durchbrechung der Rechtskraft zugänglich sind (BVerfGE 55, 1, 5) ist dies für Urteile, die an sich einer Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens entzogen sind, noch nicht abschließend geklärt (vgl. dazu BSG, SozR 3-1750 § 318 Nr. 1; BVerwG, NJW 1995, 2053; BVerfGE 73, 322, 327). Das Anhörungsrügengesetz (vgl. dazu oben Rz. 5) sieht in § 178a einen rechtskraftdurchbrechenden außerordentlichen Rechtsbehelf, die Anhörungsrüge, vor. Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist danach das Verfahren fortzusetzen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Eine Erstreckung dieses Rechtsbehelfs auf die Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte ist nicht Gegenstand des vom BVerfG mit Plenarbeschluss v. 30.4.2003 (1 PBvU 1/02) erteilten Gesetzgebungsauftrags gewesen. Damit trifft auch das Anhörungsrügengesetz keine Aussage zu der Frage, wie die Gerichte zukünftig mit Verletzungen etwa des Willkürverbots umgehen sollen. Ob Gegenvorstellungen nach Einführung der Anhörungsrüge nach § 178a zum 1.1.2005 im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt noch statthaft sind, hat das BSG zuletzt offen gelassen (vgl. z. B. BSG, Beschluss v. 7.12.2023, B 5 R 82/23 AR, Rz. 6) und darauf hingewiesen, dass eine unanfechtbare Entscheidung auf einen außerordentlichen Rechtsbehelf jedenfalls nur geändert werden kann, wenn diese Entscheidung offensichtlich dem Gesetz widersprach oder grobes prozessuales Unrecht enthielt (vgl. BVerfG, SozR 1500 § 62 Nr. 16, 15; BSG, SozR 3-1500 § 160a Nr. 24, 44 f., und BSG, Beschluss v. 24.7.2006, B 1 KR 6/06 BH, Rz. 1).