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Hat das SG eine zulassungsfreie Berufung irrtümlich als zulassungsbedürftig angesehen, werden verschiedene Lösungsmöglichkeiten diskutiert. Teils wird die Auffassung vertreten, gegen die Nichtzulassung sei die Beschwerde gemäß § 145 SGG statthaft, da der Rechtsschein einer wirksamen Nichtzulassung bestehe (LSG NRW, Beschluss v. 11.5.2009, L 5 B 107/08 KR NZB; Leitherer, SGG, § 144 Rn. 46a; Knittel, in: Hennig, SGG, § 144 Rn. 42). Das LSG stellt dann auf die Beschwerde hin fest, dass die Berufung von Gesetzes wegen zulässig und das Verfahren als Berufungsverfahren fortzusetzen ist (LSG NRW, Beschluss v. 11.5.2009, L 5 B 107/08 KR NZB; LSG Niedersachsen, Beschluss v. 7.3.1996, L 5 S [Ka] 26/95; VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 19.10.1995, 7 S 1231/95; OVG Hamburg, Beschluss v. 25.8.1993, Bs IV 126/93, NvwZ-RR 1994 S. 236). Demgegenüber wird die Ansicht vertreten, dass in einem solchen Fall auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin allein die Entscheidung über die Nichtzulassung aufzuheben ist; anschließend bedürfe es der Einlegung der Berufung (VGH Hessen, Beschluss v. 23.6.1992, 9 TE 705/92, NvwZ-RR 1993 S. 447). Eine entsprechende Anwendung des § 145 Abs. 5 Satz 1 komme nicht in Betracht (vgl. OVG Berlin, Beschluss v. 27.8.1993, 4 N 5/93, zu § 131 Abs. 8 Satz 1 VwGO a. F., VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 5.11.1992, 2 S 2599/92). Es fehle an einer Regelungslücke, denn den Beteiligten stehe es bei einer irrtümlich ausgesprochenen Nichtzulassung der Berufung offen, gegen das Urteil entweder sogleich oder aber nach Aufhebung dieser Entscheidung Berufung einzulegen, wobei ihnen gegebenenfalls bei Versäumung der Berufungsfrist nach Maßgabe des § 67 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 11.5.2007, L 9 KR 205/04 NZB). Gelten dürfte: Hat das SG in einem Fall der statthaften Berufung irrtümlich ausdrücklich tenoriert "Die Berufung wird nicht zugelassen", entfällt angesichts der entgegenstehenden Gesetzeslage jegliche Bindung. Der Beschwerte kann dann Berufung einlegen oder – wegen des gesetzten Rechtsscheins – Nichtzulassungsbeschwerde erheben (LSG NRW, Urteil v. 29.4.1998, L 11 KA 182/97, Breithaupt 1999 S. 107; Leitherer, SGG, § 144 Rn. 46a; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 144 Rn. 277). Angesichts des Grundsatzes der Meistbegünstigung kann der beschwerte Beteiligte stattdessen auch – kumulativ – Nichtzulassungsbeschwerde und Berufung einlegen (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 7.4.1997, L 1 Ar 128/96).