Rz. 12
Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 151 sind eine Reihe von Ausnahmen möglich. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Authentizität des Schriftsatzes aus anderen Gründen heraus eindeutig ist. Eine schriftliche Einlegung der Berufung liegt daher auch dann vor, wenn zwar wesentliche Teile der Berufungsschrift (einschließlich der Unterschrift des Berufungsführers) nur in Ablichtung eingereicht werden, sich aber aus anderen Umständen (insbesondere Inhalt des Schreibens, beigefügten Anlagen, handschriftlichen Einfügungen auf den Ablichtungen) mit hinreichender Deutlichkeit die Urheberschaft und der Wille des Berufungsführers ergeben, die Rechtsmittelschrift in den Verkehr zu bringen (BSG, Urteil v. 16.11.2000, B 13 RJ 3/99 R, NJW 2001 S. 2492). Zweck des Schriftformerfordernisses ist es, dass die Unterschrift aus Gründen der Rechtssicherheit den Urheber erkennen lässt und gewährleistet, dass das Schriftstück nicht nur als Entwurf, sondern mit Wissen und Wollen des Verfassers bei Gericht eingegangen ist (GmSOGB, Beschluss v. 5.4.2000, GmS-OGB 1/98, NJW 2000 S. 2340). Dem ist Rechnung getragen, wenn sich genau dies aus anderen Umständen hinreichend sicher ergibt (vgl. auch LSG NRW, Urteil v. 8.11.2000, L 10 V 11/00; LSG NRW, Urteil v. 25.6.2003, L 11 KA 243/01). Beispielsweise kann es für ein bewusstes und gewolltes In-Verkehr-Bringen sprechen, wenn die Berufung durch einen Schriftsatz mit dem Briefkopf der Anwaltskanzlei des klägerischen Prozessbevollmächtigten einschließlich E-Mail-Adresse und Durchwahl der Telefonnummer seines Sekretariats eingelegt worden ist, sofern sich keinerlei Anhaltspunkte für ein eigenmächtiges Handeln des Kanzleipersonals ergeben (LSG NRW, Urteil v. 25.6.2003, L 11 KA 243/01). Das Schriftformerfordernis des § 151 Abs. 1 kann ausnahmsweise auch dann erfüllt sein, wenn der Berufungsschriftsatz dem Gericht in einem Umschlag zugeht, der nach seinem äußeren Erscheinungsbild von dem Berufungskläger selbst mit einer handschriftlichen Absender- und Empfängerangabe versehen worden ist (vgl. BSG, Urteil v. 6.5.1998, B 13 RJ 85/97 R). Ferner ist anerkannt, dass eine gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift, die der Rechtsanwalt unterzeichnet hat, die fehlende Unterschrift auf der Urschrift ersetzen kann. Dies gilt jedoch nur, wenn zum Zeitpunkt des Fristablaufs kein Zweifel mehr möglich ist, dass der bestimmende Schriftsatz von dem Unterschriftleistenden herrührt (vgl. BGH, Beschluss v. 15.6. 2004, VI ZB 9/04). Die Berufungsschrift einer Behörde entspricht der gesetzlichen Schriftform, wenn der in Maschinenschrift wiedergegebene Name des Verfassers mit einem Beglaubigungsvermerk versehen ist (vgl. BSG, Urteil v. 20.12.1979, 4 RJ 120/77).
Rz. 13
Hiergegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, ein Schriftstück bleibe, solange es nicht unterschrieben sei, ein Entwurf und könne deswegen keinerlei Rechtswirkungen entfalten (Zeihe,§ 151 Rn. 5c). Grundsätzlich trifft dieser Ansatz zwar zu. Ob ein Schriftstück sich noch im Entwurfsstadium befindet oder schon bestimmenden Charakter hat, wird i. d. R. durch die Unterschrift dokumentiert. Dies schließt es aber nicht aus, dass der Verfasser das Schriftstück mit Wissen und Wollen in den Rechtsverkehr gibt und die Unterschrift schlicht vergisst. Das Schriftstück kann auch in einem solchen Fall bestimmenden Charakter haben. Allenfalls aus Gründen der Rechtssicherheit kann dennoch eine Unterschrift verlangt werden, um eindeutig und unmissverständlich den entsprechenden Willen des Verfassers zu dokumentieren. Hierauf kann aber verzichtet werden, wenn sich anhand sonstiger Umstände klar und eindeutig feststellen lässt, dass der Verfasser das Schriftstück in den Rechtsverkehr geben wollte; dann handelt es sich trotz fehlender Unterschrift gerade nicht um einen Entwurf.
Rz. 14
Anhand dieser Kriterien lässt sich gleichermaßen die Frage beantworten, ob eine Paraphe ausreicht. Das ist zu verneinen (BGH, Urteil v. 11.2.1982, III ZR 39/81, NJW 1982 S. 1467; BGH, Urteil v. 18.1.1996, III ZR 73/95, NJW 1996 S. 997; vgl. aber BFH, Beschluss v. 29.11.1995, X B 56/95, NJW 1996 S. 1432). Denn die Zeichnung des Schriftstücks durch eine Paraphe beweist, dass der Verfasser jedenfalls dieses nicht in den Rechtsverkehr geben wollte. Er hat sich im Gegensatz zur fehlenden Unterschrift bewusst dafür entschieden, diesem Schriftstück nur interne Bedeutung beizumessen. Die zunehmende Nutzung neuer Telekommunikationsmöglichkeiten kann hieran nichts ändern. Rechtlich ist es irrelevant, mittels welchen Mediums der Verfasser das Schriftstück dem Gericht übermittelt. Maßgebend ist allein, dass er durch Zeichnung einer Paraphe statt Unterschrift unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dieses Schriftstück nicht als endgültige Erklärung anzusehen (so auch BAG, Urteil v. 27.3.1996, 5 AZR 576/94, NJW 1996 S. 3164; BGH, Urteil v. 10.7.1997, IX ZR 24/97, NJW 1997 S. 3380; a. A. BFH, Beschluss v. 29.11.1995, X B 56/95, NJW 1996 S. 1432).