1 Allgemeines

 

Rz. 1

Abs. 2 der Vorschrift ist durch Art. 1 Nr. 15 des Gesetzes v. 30.7.1974 (BGBI. l S. 1625) zum 1.1.1975 neu gefasst worden und seither unverändert geblieben. Wahrend § 144 bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine Berufung statthaft ist, regelt § 151 SGG weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen. Diese haben teilweise zwingenden Charakter. Der Verstoß hiergegen führt zur Unzulässigkeit der Berufung mit der Folge, dass sie zu verwerfen ist (§ 158 SGG). Die formellen Anforderungen an die Berufungsschrift sind im SGG im Gegensatz zu den anderen Prozessordnungen (§ 124 VwGO, § 519 ZPO) deutlich gemindert. Dies beruht nach den – allerdings überholten – Vorstellungen des Gesetzgebers darauf, dass bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit vornehmlich rechtlich ungewandte Personen Rechtsschutz suchen (Begründung zum Entwurf einer SGO BT-Drs. 4357 zu § 40 S. 27). Richtig hieran ist allein der Ausgangspunkt. Natürlich suchen auch rechtlich ungewandte Personen sozialgerichtlichen Rechtsschutz. Jedoch gilt dies auch für alle anderen Verfahrensordnungen. Auch in einer Vielzahl zivilrechtlicher Streitverfahren wird der ungewandte und schutzbedürftige Rechtsuchende nicht deswegen rechtskundig oder auch nur weniger schutzbedürftig, weil es sich um einen Zivilrechtsstreit handelt.

2 Rechtspraxis

2.1 Frist und Form

2.1.1 Frist

2.1.1.1 Einführung

 

Rz. 2

Die Berufung ist beim LSGinnerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Berufung bei dem SG eingelegt wird, dessen Entscheidung angefochten wird (§ 151 Abs. 2 Satz 1). Adressat der Berufungsschrift ist nicht ein beliebiges LSG oder SG, sondern das SG, welches das Urteil erlassen hat und das LSG, das hierüber zu entscheiden (Peters/Sautter/Wolff, SGG, 4. Aufl. 3/1996, § 151 Rn. 72; Knecht, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2008, §  151 Rn. 8).

2.1.1.2 fehlgeleitete Berufung

 

Rz. 3

Fraglich ist, wie bei fehlgeleiteten Berufungen zu verfahren ist. Die Berufung ist dann nur zulässig, wenn sie innerhalb der Frist an des LSG gelangt. Das SG (hierzu Rz. 2) ist verpflichtet, die Berufung unverzüglich (§ 121 BGB) an das LSG weiterzuleiten (§ 153 Abs. 2 Satz 2 SGG). "Sozialgericht" meint nicht die gerichtliche sondern die behördliche Funktion (Zeihe, SGG, 10/2010, § 151 Rn. 9b). Hiernach hat die Verwaltung sicher zu stellen, dass fehlgeleitete Berufungen auch ohne Einschaltung des Richters unverzüglich an das LSG weitergeleitet werden. Soweit hiergegen verstoßen wird, kann dies Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB, Art. 34 GG) auslösen (so Zeihe, SGG, § 151 Rn. 9a). Verzögerungen gehen insoweit nicht zulasten des Berufungsführers (Knecht, SGG, § 151 Rn. 8).

 

Rz. 4

Die Einlegung der Berufung bei einem anderen SG oder bei einer Behörde wahrt die Frist nicht, denn § 91 SGG gilt wegen § 153 Abs. 1 nicht (vgl. BSG, Beschluss v. 31.3.2005, B 11a/11 AL 229/04 B; LSG Saarland, Beschluss v. 1.3.2005, L 8 AL 24/04). Wer bei einer anderen Stelle Berufung einlegt, trägt das Risiko der Fristversäumnis, wenn das Schriftstück nach Weiterleiten nicht innerhalb der Frist beim LSG oder SG eingeht (vgl. LAG Nürnberg, Beschluss v. 23.7.1993, 7 Ta 23/93, NZA 1994 S. 335). Die andere Stelle ist nicht verpflichtet, jedes Schriftstück sofort daraufhin zu überprüfen, ob darin etwa eine Rechtsmittelschrift enthalten ist, die an das zuständige Gericht weitergeleitet werden muss (vgl. BSG, Urteil v. 26.11.1987, 2 RU 42/87, Breithaupt 1988 S. 429). Die andere Stelle ist insbesondere auch nicht verpflichtet, ggf. Maßnahmen zu ergreifen, um den rechtzeitigen Eingang der Rechtsmittelschrift beim zuständigen Gericht zu gewährleisten; das zu erwartende pflichtgemäße Handeln der angegangenen Stelle beschränkt sich darauf, die Rechtsmittelschrift im ordnungsgemäßen Geschäftsgang weiterzuleiten (vgl. BSG, Beschluss v. 10.12.1974, GS 2/73, NJW 1975 S. 1380; vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 17.3.2005, 1 BvR 950/04, NJW 2005 S. 2137 betreffend das vorbefasste Gericht).

 

Rz. 5

Die Bearbeitung im ordentlichen Geschäftsgang erfordert nicht die telefonische Benachrichtigung des Rechtsmittelführers über die falsche Adressierung oder die Weiterleitung des Schriftsatzes an das Rechtsmittelgericht per Telefax (BAG, Urteil v. 20.8.1997, 2 AZR 9/97, NJW 1998 S. 923, Rohwer-Kahlmann, SGG, VII/2000, § 151 Rn. 14). Neben der von Verfassungs wegen gebotenen fairen Verfahrensgestaltung ist zu berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Danach muss der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden (vgl. BVerfG, Beschluss v. 20.6.1995, 1 BvR 166/93, BVerfGE 93 S. 99, 114). Die Anforderungen an die richterliche Fürsorgepflicht werden überspannt, wenn den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien vollständig abgenommen und den unzuständig...

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