Rz. 3
Für den Berufungsrechtszug gelten nach § 153 Abs. 1 die Vorschriften des ersten Rechtszugs, nämlich §§ 87 bis 122 SGG. Hiervon ausgenommen sind ausdrücklich § 91 SGG und § 105 SGG. Demzufolge ist die Berufungsfrist nur gewahrt, wenn die Berufung den Anforderungen des § 151 Abs. 1 genügt. Gerichtsbescheide (§ 105 SGG) können im Berufungsrechtszug nicht erlassen werden. Stattdessen kommt eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG in Betracht. Besondere Vorschriften i. S. d. Abs. 1 sind im Übrigen § 151 zu § 92, § 154 zu § 97 und § 156 zu § 102. Über § 202 SGG gelten ferner die Vorschriften der ZPO, soweit dies wegen der grundsätzlichen Unterschiede beider Verfahrensordnungen nicht ausgeschlossen ist.
Rz. 4
Die Klage kann auch noch im Berufungsrechtszug zurückgenommen werden (§ 153 Abs. 1 i. V. m. § 102 SGG). Das bereits ergangene erstinstanzliche Urteil wird dann wirkungslos. Wird lediglich die Berufung zurückgenommen, führt zwar auch dies zum Abschluss des Berufungsverfahrens, indessen wird das angefochtene Urteil nunmehr rechtskräftig. Für die Fiktion einer Berufungsrücknahme, wenn der Kläger das Verfahren nicht betreibt, gibt es im sozialgerichtlichen Verfahren keine Rechtsgrundlage (BSG, Urteil v. 1.7.2010, B 13 R 58/09 R, BSGE 106 S. 254). Diese Entscheidung ist durch Artikel 8 Nr. 7 des am 1.1.2012 in Kraft getretenen 4. Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze v. 22.12.2011 (BGBl. I S. 3057) überholt. Hiernach wird die in § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG geregelte Klagerücknahmefiktion auf Berufungen erstreckt (3 156 Abs. 2 n. F.).
Rz. 5
Die einseitige Erledigungserklärung führt zur Beendigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Anders als nach § 91a ZPO und § 161 Abs. 2 VwGO hat sie keine eigenständige prozessuale Bedeutung, sondern stellt sich je nach prozessualer Konstellation entweder als Klagerücknahme bzw. Berufungsrücknahme oder als Annahme eines abgegebenen Anerkenntnisses dar (BSG, Urteil v. 20.12.1995, 6 RKa 18/95; USK 95155; BSG, Urteil v. 9.6.1994, 6/14a RKa 3/93, USK 95122; vgl. auch LSG NRW, Beschluss v. 6.12.2006, L 19 B 103/06 AS; LSG NRW, Beschluss v. 20.3.2002, L 10 B 29/01 SB). Dieses Verständnis kann unter Geltung des 6. SGGÄndG allerdings zu nicht angemessenen kostenrechtlichen Konsequenzen in den Angelegenheiten des § 197a SGG führen (vgl. LSG Berlin, Beschluss v. 28.4.2004, L 6 B 44/03 AL ER, SGb 2005 S. 55). Während im Falle einer einseitigen Erledigungserklärung (= Rücknahme des Rechtsbehelfs) über die Kosten nach billigem Ermessen zu entscheiden war (§ 193 SGG), wäre nunmehr nach § 155 Abs. 2 VwGO zu verfahren. Hiernach trägt derjenige die Kosten des Rechtsstreits, der einen Rechtsbehelf zurücknimmt. Um dieser zwingenden Folge aus dem Weg zu gehen, bietet es sich an, die einseitige Erledigungserklärung kostenrechtlich § 161 Abs. 2 VwGO zuzuordnen. Das Gericht hat dann die Möglichkeit, die Kostenentscheidung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu treffen (vgl. LSG NRW, Beschluss 31.10.2011, L 11 KA 61/11 B ER; Beschluss v. 21.5.2010, L 11 B 15/09 KA ER; Beschluss v. 7.3.2005, L 10 KA 36/03). Eine vergleichbare Problematik stellt sich im Falle der verfahrensbeendenden übereinstimmenden Erledigungserklärung. Auch insoweit sollte kostenrechtlich nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 161 Abs. 2 VwGO vorgegangen werden, also eine Kostenentscheidung nach billigem Ermessen getroffen werden (LSG NRW, Beschluss 31.10.2011, L 11 KA 61/11 B ER; Beschluss v. 17.5.2005, L 10 B 10/04 KA ER, MedR 2006 S. 124; LSG Berlin, Beschluss v. 28.4.2004, L 6 B 44/03 AL ER, SGb 2005 S. 55, mit Anm. Krasney, jurisPR-SozR 2004/43 Anm. 6).
Rz. 6
Folgebescheide werden über § 153 Abs. 1 in das Berufungsverfahren einbezogen. Das Berufungsgericht wird insoweit nicht auf Berufung, sondern erstinstanzlich "auf Klage" tätig (BSG, Urteil v. 27.1.1999, B 4 RA 20/98 R, SozR 3-2400 § 18b Nr. 1). Entscheidet das Gericht über diesen zum "Gegenstand" der Klage gewordenen Verwaltungsakt nicht, liegt ein Verfahrensmangel vor (BSG, Beschluss v. 18.8.1999, B 4 RA 25/99 B, SozR 3-1500 § 96 Nr. 9; LSG NRW, Urteil v. 21.11.2001, L 10 V 40/00; Krasney/Udsching, 5. Aufl. 2008, VII Rn. 92; a. A. Zeihe, SGG, 11/2010, § 96 Rn. 1c). Eine Rücknahme der Berufung, die den ergangenen Erst- und Widerspruchsbescheid zum Gegenstand hat, ist ohne Einfluss auf den Folgebescheid. Dieser ist dann alleiniger Gegenstand des Verfahrens in zweiter Instanz (LSG Saarland, Beschluss v. 18.1.2006, L 2 U 174/03). Der Einbeziehung der Folgebescheide entsprechend § 96 SGG steht nicht entgegen, wenn der Kläger im Berufungsverfahren einer Einbeziehung ausdrücklich widerspricht. Die unabhängig vom Willen der Beteiligten kraft Gesetzes eintretende Klageänderung hindert die Beteiligten nicht, über den Verfahrensgegenstand im Rahmen ihrer allgemeinen Dispositionsbefugnis zu verfügen (vgl. BSG, Urteil v. 31.7.2002, B 4 RA 20/01 R, SozR 3-1500 § 29 Nr. 1). ...