1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die derzeitige Fassung beruht auf dem Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege v. 11.1.1993 (BGBl. I S. 50). Mit Wirkung zum 1.3.1993 ist Abs. 1 dahin ergänzt worden, dass § 105 SGG im Berufungsrechtszug nicht zur Anwendung gelangt. Ferner ist in Abs. 2 eine Sonderregelung zu § 136 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 3 SGG hinsichtlich der Anforderungen an die Entscheidungsgründe getroffen worden. Eine weitere Änderung hat § 144 SGG durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGÄndG) v. 31.3.2008 (BGBl. I S. 444) ab dem 1.1.2008 erfahren. Danach ist die Vorschrift um einen Abs. 5 ergänzt worden. Nunmehr kann der Senat in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG die Berufung dem Berichterstatter durch Beschluss übertragen.

 

Rz. 2

Der Berufungsrechtszug ist eine zweite Tatsacheninstanz. Der bisherige Sach- und Streitstand wie er dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegen hat, ist in vollem Umfang zu überprüfen. Bislang nicht vorgetragene Tatsachen können nachgeholt werden und sind zu berücksichtigen. Zurückweisungs- oder Präklusionsvorschriften (§§ 296, 530, 531 ZPO) fanden bislang auch über § 202 SGG keine Anwendung (zur Anwendung des § 295 Abs. 1 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Beschluss v. 26.1.2006, B 2 U 204/05 B, SozR 4-1750 § 295 Nr. 1; BSG, Beschluss v. 12.2.2002, B 11 AL 249/01 B, HVBG-INFO 2002 S. 2153; BSG, Urteil v. 5.12.2001, B 7 AL 2/01 R, HVBG-INFO 2002 S. 2574; vgl. auch Zeihe, SGG, 11/2010, vor § 103 Rn. 2; Wagner, in: Hennig, SGG, 10/2011, § 153 Rn. 20). Das hat sich nunmehr geändert (vgl. § 157a SGG). Zögerliches oder verspätetes Vorbringen kann im Anwendungsbereich des § 183 SGG im Übrigen nur über § 192 SGG oder in der abschließenden Kostenentscheidung nach § 193 SGG geahndet werden. In anderen Angelegenheiten (§ 197a SGG) kann auf § 155 VwGO bzw. § 34 GKG zurückgegriffen werden (hierzu Berendes, SGb 2002 S. 15). Im Übrigen kann eine Verletzung der Mitwirkungspflichten im Rahmen der Sachaufklärung für die Beweiswürdigung bedeutsam sein.

2 Rechtspraxis

2.1 Anzuwendende Verfahrensvorschriften (Abs. 1)

 

Rz. 3

Für den Berufungsrechtszug gelten nach § 153 Abs. 1 die Vorschriften des ersten Rechtszugs, nämlich §§ 87 bis 122 SGG. Hiervon ausgenommen sind ausdrücklich § 91 SGG und § 105 SGG. Demzufolge ist die Berufungsfrist nur gewahrt, wenn die Berufung den Anforderungen des § 151 Abs. 1 genügt. Gerichtsbescheide (§ 105 SGG) können im Berufungsrechtszug nicht erlassen werden. Stattdessen kommt eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG in Betracht. Besondere Vorschriften i. S. d. Abs. 1 sind im Übrigen § 151 zu § 92, § 154 zu § 97 und § 156 zu § 102. Über § 202 SGG gelten ferner die Vorschriften der ZPO, soweit dies wegen der grundsätzlichen Unterschiede beider Verfahrensordnungen nicht ausgeschlossen ist.

 

Rz. 4

Die Klage kann auch noch im Berufungsrechtszug zurückgenommen werden (§ 153 Abs. 1 i. V. m. § 102 SGG). Das bereits ergangene erstinstanzliche Urteil wird dann wirkungslos. Wird lediglich die Berufung zurückgenommen, führt zwar auch dies zum Abschluss des Berufungsverfahrens, indessen wird das angefochtene Urteil nunmehr rechtskräftig. Für die Fiktion einer Berufungsrücknahme, wenn der Kläger das Verfahren nicht betreibt, gibt es im sozialgerichtlichen Verfahren keine Rechtsgrundlage (BSG, Urteil v. 1.7.2010, B 13 R 58/09 R, BSGE 106 S. 254). Diese Entscheidung ist durch Artikel 8 Nr. 7 des am 1.1.2012 in Kraft getretenen 4. Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze v. 22.12.2011 (BGBl. I S. 3057) überholt. Hiernach wird die in § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG geregelte Klagerücknahmefiktion auf Berufungen erstreckt (3 156 Abs. 2 n. F.).

 

Rz. 5

Die einseitige Erledigungserklärung führt zur Beendigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Anders als nach § 91a ZPO und § 161 Abs. 2 VwGO hat sie keine eigenständige prozessuale Bedeutung, sondern stellt sich je nach prozessualer Konstellation entweder als Klagerücknahme bzw. Berufungsrücknahme oder als Annahme eines abgegebenen Anerkenntnisses dar (BSG, Urteil v. 20.12.1995, 6 RKa 18/95; USK 95155; BSG, Urteil v. 9.6.1994, 6/14a RKa 3/93, USK 95122; vgl. auch LSG NRW, Beschluss v. 6.12.2006, L 19 B 103/06 AS; LSG NRW, Beschluss v. 20.3.2002, L 10 B 29/01 SB). Dieses Verständnis kann unter Geltung des 6. SGGÄndG allerdings zu nicht angemessenen kostenrechtlichen Konsequenzen in den Angelegenheiten des § 197a SGG führen (vgl. LSG Berlin, Beschluss v. 28.4.2004, L 6 B 44/03 AL ER, SGb 2005 S. 55). Während im Falle einer einseitigen Erledigungserklärung (= Rücknahme des Rechtsbehelfs) über die Kosten nach billigem Ermessen zu entscheiden war (§ 193 SGG), wäre nunmehr nach § 155 Abs. 2 VwGO zu verfahren. Hiernach trägt derjenige die Kosten des Rechtsstreits, der einen Rechtsbehelf zurücknimmt. Um dieser zwingenden Folge aus dem Weg zu gehen, bietet es sich an, die einseitige Erledigungserklärung kostenrechtlich § 161 Abs. 2 VwGO zuzuordnen. Das Gericht hat dann die Möglichkeit, die Kostenentscheidung nach billigem E...

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