Rz. 15
Nach § 153 Abs. 4 kann das LSG außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs. 2 Satz 1) entschieden hat, die Berufung durch urteilsersetzenden Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. auch § 522 Abs. 2 ZPO und § 130a VwGO). Diese durch Art. 8 Nr. 6d des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege v. 11.1.1993 (BGBl. I S. 50) geschaffene Regelung gibt dem LSG die Möglichkeit, eindeutig aussichtslose Berufungen rasch und ohne unangemessenen Verfahrensaufwand zu bearbeiten, und trägt dementsprechend zur Entlastung der Landessozialgerichte bei (BT-Drs. 12/1217 S. 53 zu Nr. 7d). Das LSG ist allerdings gehindert, von dieser Vorschrift Gebrauch zu machen, wenn das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Insoweit wird Art. 6 EMRK der grundsätzliche Rechtsanspruch auf Durchführung mindestens einer mündlichen Verhandlung entnommen (vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, NJW 2003 S. 1924). Angesichts der Bedeutung der mündlichen Verhandlung für ein transparentes und nachvollziehbares Gerichtsverfahren (hierzu auch Redeker, NJW 2002 S. 192, 193; BVerwG, Beschluss v. 25.9.2003, 4 B 68/03, NVwZ 2004 S. 108) sollte § 153 Abs. 4 nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden (vgl. BSG, Urteil v. 8.11.2005, B 1 KR 76/05 B, SozR 4-1500 § 158 Nr. 2). Unter Beachtung des nach Art. 6 Abs. 1 EMRK anerkannten Rechts auf (mindestens) eine mündliche Verhandlung ist die Möglichkeit, nach § 153 Abs. 4 ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, eng und in einer für die Beteiligten möglichst schonenden Weise auszulegen (BSG, Beschluss v. 6.4.2011, B 4 AS 188/10 B).
Rz. 16
Die mündliche Verhandlung ist das "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens (hierzu BSG, Beschluss v. 6.4.2011, B 4 AS 188/10 B; BSG, Beschluss v. 5.8.2004, B 13 RJ 206/03 B; Beschluss v. 31.3.2004, B 4 RA 126/03 B, SozR 4-1500 § 112 Nr. 2; Beschluss v. 23.10.2003, B 4 RA 37/03 B, SozR 4-1500 § 62 Nr. 1; BSG, Urteil v. 28.5.2003, B 3 KR 33/02 R; BSG, Urteil v. 7.11.2001, B 9 V 6/01 R). Verfassungsrechtlich gilt: Das BVerfG beanstandet die Anwendung solcher verfahrensrechtlicher Bestimmungen nur, wenn sie schlechterdings nicht vertretbar sind, sich damit als objektiv willkürlich erweisen und insoweit einer Partei der Zugang zu einer durch die Zivilprozessordnung grundsätzlich eröffneten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird, was § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO betreffend verneint wurde (Beschluss v. 23.10.2007, 1 BvR 1300/06, NJW 2008 S. 504).