Rz. 9
Wird das Rechtsmittel von einem Versicherungsträger oder in der sog. Kriegsopferversorgung von einem Land eingelegt, hemmt dies die Vollstreckbarkeit des Urteils bzw. Gerichtsbescheids. § 154 Abs. 2 gilt nach seinem Wortlaut nur für Rechtsmittel eines Versicherungsträgers oder (in der Kriegsopferversorgung) eines Landes. Der Begriff "Versicherungsträger" ist weit zu verstehen; erfasst werden auch Leistungsträger, die nicht auf dem Versicherungsprinzip beruhende Leistungen gewähren (Zeihe, SGG, § 154 Rn. 7b; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 154 Rn. 7 ff.; Bernsdorff, in: Hennig, SGG, § 154 Rn. 35 f.).
Rz. 10
Abs. 2 greift nicht, wenn die Berufung ein Verfahren auf Feststellung des GdB nach dem SGB IX betrifft, denn das beklagte Land ist kein Versicherungsträger; es liegt auch keine Berufung oder Beschwerde "in der Kriegsopferversorgung" vor (BayLSG, Beschluss v. 16.12.2004, L 18 SB 132/04 ER, juris). Ob und inwieweit die Vorschrift eingreift, wenn für die Durchführung der KOV nicht mehr das Land sondern infolge einer politisch gewollten Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung ein kommunaler Rechtsträger zuständig ist, erscheint als zweifelhaft (hierzu LSG NRW, Urteil v. 5.3.2008, L 10 V 5/09, juris).
Rz. 11
§ 154 Abs. 2 findet auch dann Anwendung, wenn ein Leistungsträger nach dem SGB II Rechtsmittelführer ist (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 22.6.2007, L 18 B 970/07 AS ER, juris; Keller, SGG, § 154 Rn. 3; Knecht, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 154 Rn. 6). Die gegenläufige Auffassung (z. B. LSG Sachsen, Beschluss v. 31.8.2010, L 7 AS 512/10, juris; vgl. auch BSG, Beschluss v. 8.12.2009, B 8 SO 17/09 R, SozR 4-1500 § 154 Nr. 1, hierzu Groß, SGb 2011, 59), überzeugt nicht (hierzu ausführlich LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 20.4.2010, L 10 AS 386/10, juris). Damit bewirkt die gegen ein zusprechendes Urteil auf Leistungen nach dem SGB II vom Leistungsträger eingelegte Berufung Aufschub soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen.
Rz. 12
Sofern die Voraussetzungen des § 154 Abs. 2 vorliegen, hat ein gestellter Vollstreckungsantrag keine Aussicht auf Erfolg. Dann ist Prozesskostenhilfe zu versagen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 22.6.2007, L 18 B 970/07 AS ER, juris). Im Anwendungsbereich des Abs. 2 ist ein Vollstreckungsaussetzungsantrag im Übrigen nur begründet, wenn besondere Umstände vorliegen, die ein Abweichen von der hierin formulierten Regel rechtfertigen; dies wird angenommen, wenn die auf Verurteilung zu Leistungen gerichtete Klage offensichtlich unbegründet ist (vgl. BSG, Urteil v. 6.5.1960, 11 RV 92/60, BSGE 12 S. 138). In den Fällen, in denen um die Verpflichtung der Aufsichtsbehörde zur Erteilung einer Errichtungsgenehmigung gestritten wird, ist nach BSG hingegen nicht uneingeschränkt an der Rechtsauffassung festzuhalten, dass in den Rechtsmittelinstanzen eine Aussetzung der Vollstreckung nur ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn das Rechtsmittel in der Hauptsache offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat, die Klage also offensichtlich unbegründet gewesen ist. In den genannten Fallgestaltungen ist die Rechtsprechung (hierzu BSG, Beschluss v. 18.9.1987, 1 RR 2/87, USK 87159) vielmehr dahingehend zu modifizieren, dass eine Aussetzung der Vollziehung eines zur Erteilung der Genehmigung verpflichtenden Urteils auch dann erfolgen kann, wenn das Rechtsmittel der beklagten Aufsichtsbehörde nicht offensichtlich aussichtslos ist (BSG, Beschluss v. 26.11.1991, 1 RR 10/91, USK 91155).
Rz. 13
Das Rechtsmittel der nach § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG beigeladenen Bundesrepublik Deutschland bewirkt keinen Aufschub (aufschiebende Wirkung); angesichts der förderalen Struktur der Bundesrepublik sind Bund und Land strikt zu trennen. Da der Gesetzgeber es offenbar übersehen hat, in § 154 Abs. 2 "Kriegsopferversorgung" durch "soziales Entschädigungsrecht" zu ersetzen (vgl. oben), gilt diese Aufschubnorm nicht nur für Streitigkeiten nach dem Bundesversorgungsgesetz, sondern in sämtlichen sonstigen Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts (vgl. Keller, SGG, § 154 Rn. 2a; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 154 Rn. 9; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 154 Rn. 9).