Rz. 19

Offen ist, auf welcher Grundlage sog. Urteilsleistungen zu erstatten sind. Während sich der 4. Senat des BSG für eine sinngemäße Anwendung des § 50 SGB X entschieden und dabei offen gelassen hat, ob dessen Abs. 1 oder Abs. 2 maßgebend sind (Urteil v. 12.9.1984, 4 RJ 79/83, BSGE 57 S. 138, 143), hat der 5. Senat des BSG der Anwendung des § 50 Abs. 2 SGB X den Vorzug gegeben (Beschluss v. 25.2.1992, 5 RJ 44/91, juris; Urteil v. 3.2.1988, 5/5b RJ 60/86, HV-INFO 1988, 1022; Urteil v. 15.5.1985, 5b/1 RJ 34/84, SozR 1500 § 154 Nr. 8; so auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15.9.2004, L 4 V 22/03, Breithaupt 2004, 988; BayLSG, Urteil v. 12.4.1989, L 2 U 302/85, HV-INFO 1992, 1485). Auch der 7. Senat sieht § 50 Abs. 2 SGB X als zutreffende Rechtsgrundlage an (Urteil v. 31.10.1991, 7 RAr 60/89, SozR 3-1300 § 45 SGB X Nr. 10); ein Bescheid über die Erstattung sog. Urteilsleistungen sei nur dann rechtmäßig, wenn die sachlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X gegeben seien, die Einziehung für den Betroffenen keine besondere Härte i. S. d. § 42 Abs. 3 Nr. 3 SGB I darstelle und der Leistungsträger eine (wirksame) Ermessensentscheidung getroffen habe (BSG, Urteil v. 31.10.1991, 7 RAr 60/89, SozR 3-1300 § 45 Nr. 10; vgl. auch BSG, Urteil v. 2.7.1997, 9 RV 14/96, SozR 3-1300 § 50 Nr. 19; Bernsdorff, in: Hennig, SGG, § 154 Rn. 58). Indessen: Die Voraussetzungen des § 45 SGB X müssen nicht vorliegen. Die Aufhebung des Urteil genügt. Nach § 50 Abs. 1 SGB X ist die Aufhebung eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts Voraussetzung des Erstattungsanspruchs, weil nur die rechtswidrig zuerkannten Leistungen erstattungsfähig sind. Bereits bei der Aufhebung dieses Bescheides findet gemäß § 45 Abs. 2 SGB X die Prüfung des Vertrauensschutzes des durch die rechtswidrige Leistung Begünstigten statt. Ist ihm Vertrauensschutz zu versagen und deshalb der Bescheid aufzuheben, steht dem Erstattungsanspruch der Verwaltung dieser Gesichtspunkt nicht mehr entgegen. Nur soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, erfolgt erst bei den Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs. 2 SGB X die – zuvor nicht veranlasste – Prüfung des Vertrauensschutzes. § 50 Abs. 1 und 2 SGB X ist somit der Grundsatz zu entnehmen, dass eine Erstattung von Leistungen, die – mit oder ohne Leistungsbescheid – zu Unrecht erbracht worden sind, die Beachtung des Vertrauensschutzes des Empfängers – sei es bei Aufhebung des Leistungsbescheides (Abs. 1), sei es vor Erhebung des Erstattungsanspruchs – voraussetzt (BSG, Urteil v. 15.5.1985, 5b/1 RJ 34/84, SozR 1500 § 154 Nr. 8; vgl. auch Keller, SGG, § 154 Rn. 4; Zeihe, SGG, § 154 Rn. 11c).

Wird gleichwohl angenommen, dass § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X anwendbar ist, schließt ein Hinweis im Ausführungsbescheid darauf, dass die Urteilsleistung zu erstatten ist, falls das erstinstanzliche Urteil aufgehoben wird, Gutgläubigkeit aus (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15.9.2004, L 4 V 22/03, Breithaupt 2004, 988; vgl. auch BSG, Urteil v. 12.9.1984, 4 RJ 79/83, SozR 1300 § 50 Nr. 6). Ob und inwieweit die Verwaltung die Urteilsrente zurückfordert, unterliegt ihrem Ermessen (BSG, a. a. O.). Die Regelungen der § 42 Abs. 3 SGB I i. V. m. § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV sind entsprechend anzuwenden. Die Rückforderung darf nicht unbillig sein und keine soziale Härte darstellen, etwa wenn der Kläger infolge der Erstattung sozialhilfebedürftig würde (BSG, Urteil v. 12.9.1984, 4 RJ 79/83, SozR 1300 § 50 Nr. 6; BSG, Urteil v. 15.5.1985, 5b/1 RJ 34/84, SozR 1500 § 154 Nr. 8; Keller, SGG, § 154 Rn. 4; Knecht, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 154 Rn. 10).

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