Rz. 21
Die Berufungsrücknahme bewirkt den Verlust des Rechtsmittels schlechthin (BSG, Urteil v. 26.4.1963, 2 RU 56/62, NJW 1963 S. 2047). Auch eine einseitige Erledigungserklärung z. B. dergestalt "Ich erkläre hiermit den Rechtsstreit für erledigt", ist rechtlich als Rücknahme der Berufung zu werten. Dies bewirkt gleichermaßen den Verlust des Rechtsmittels und hat zur Folge, dass der Rechtsstreit wie auch bei der Klagerücknahme (§ 102 Satz 2) in der Hauptsache erledigt ist (vgl. LSG NRW, Urteil v. 25.11.2004, L 2 KN 118/04 P). Eine erneute Berufungseinlegung ist unzulässig (BSG, Beschluss v. 12.3.1976, 4 BJ 141/75, NJW 1976 S. 1911; Zeihe, SGG, § 156 Rn. 7a; Peters/Sautter/Wolff, SGG, 4. Aufl. 8/2005, § 156 Rn. 33; Zeihe, SGG, § 153 Rn. 7a; Rohwer-Kahlmann, SGG, VI/2006, § 156 Rn. 12; Knecht, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2008, § 156 Rn. 10; a. A. Keller, SGG, § 156 Rn. 5a). Die h. M. überzeugt. Dies ergibt sich wie folgt: Nach § 516 Abs. 3 ZPO (und § 126 Abs. 3 Satz 1 VwGO, hierzu VGH Hessen, Urteil v. 22.9.1992, 11 UE 1125/89, MDR 1993 S. 1017) bewirkt die Berufungsrücknahme den Verlust des eingelegten Rechtsmittels. Hieraus wird geschlossen, dass der Berufungskläger die Berufung innerhalb laufender Berufungsfrist (§ 517 ZPO) oder nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) trotz Rücknahme erneuern kann (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 516 Rn. 17; Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 516 Rn. 8; BGH, Urteil v. 9.12.1993, IX ZR 64/93, NJW 1994 S. 738). § 156 Abs. 2 weicht hiervon grundlegend ab. Es wird ausdrücklich geregelt, dass die Rücknahme den Verlust des Rechtsmittels zur Folge hat. Aus dieser divergierenden Formulierung kann nur hergeleitet werden, dass das SGG an die Berufungsrücknahme den Verlust des Rechtsmittels schlechthin knüpft. Der Wortlaut des § 156 Abs. 2 ist bewusst abweichend von dem des § 516 Abs. 3 ZPO (§ 515 Abs. 3 ZPO a. F.) formuliert worden. Die Verfahrensvorschriften des SGG sind nach Prüfung entsprechender Regelungen in anderen Verfahrensordnungen, vor allem in der ZPO, zustande gekommen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum hiervon bei der Schaffung des § 156 Abs. 2 abgewichen werden sollte. Dem Gesetzgeber war beim Normierung dieser Vorschrift der Meinungsstreit um die Auslegung des § 515 Abs. 3 ZPO in der früheren Fassung, vor allem die Bedeutung des "klarstellenden" Wortlauts, bekannt. Hieraus ist herzuleiten, dass er die Wirkungen der Berufungsrücknahme in § 156 Abs. 2 SGG abweichend von § 516 Abs. 3 ZPO (§ 515 Abs. 3 ZPO a. F.) geregelt werden sollte, und zwar in dem Sinne, dass die Berufungsrücknahme den Verlust des Rechtsmittels überhaupt und nicht nur der eingelegten Berufung zur Folge haben soll (zutreffend: BSG, Urteil v. 26.4.1963, 2 RU 56/62, NJW 1963 S. 2047). Sofern der Berufungskläger wegen desselben Anspruchs mehrmals Berufung eingelegt hat, erledigt eine Rücknahme regelmäßig alle Berufungen (BSG, Urteil v. 18.11.1997, 2 RU 45/96, NJW 1998 S. 2078).
Rz. 22
Die Rechtsfolgen des § 156 Abs. 2 Satz 1 können nicht eintreten, wenn durch eine unterbliebene oder unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung die Jahresfrist für den statthaften Rechtsbehelf (z. B. die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung) läuft. Hilft das SG der Beschwerde ab, wird das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt. Die Vorschrift des § 145 Abs. 5 geht § 156 Abs. 2 Satz 1 als speziellere und spätere Regelung vor (BSG, Urteil v. 15.2.2000, B 11 AL 79/99 R).
Rz. 23
Haben zwei Prozessbevollmächtigte unabhängig voneinander Berufung wegen desselben Anspruchs eingelegt und nimmt einer von ihnen "die Berufung" ohne weitere Beschränkung zurück, so bewirkt dies den Verlust des Rechtsmittels (so BSG, Urteil v. 18.11.1997, 2 RU 45/96; LSG Saarland, Urteil v. 14.5.1996, L 2 U 113/95). Die Zustimmung eines Beigeladenen ist nicht notwendig. Die Rücknahme wirkt nur für den Beteiligten, der sie erklärt. Sofern z. B. ein Beigeladener die von ihm eingelegte Berufung zurücknimmt, bleibt das Berufungsverfahren anhängig, wenn und soweit ein anderer Beteiligter eine eigene Berufung eingelegt hat. Der Beigeladene verliert dann seine Stellung als Berufungskläger, nicht jedoch die eines Beigeladenen. Ergeht ein Urteil nach Rücknahme der Berufung, ist dieses unwirksam.
Rz. 24
Die Rücknahme der Berufung bewirkt den Verlust des Rechtsmittels auch dann, wenn die Rücknahme vom beauftragten Rechtsanwalt erklärt wird und dessen Mandat im Zeitpunkt der Abgabe der Rücknahmeerklärung bereits gekündigt war (BSG, Beschluss v. 15.12.2008, B 11 AL 115/08 B; Beschluss v. 7.12.2000, B 8 KN 11/00 U B, SozR 3-1500 § 73 Nr. 8; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 73 Rn. 74). Ein Widerruf der Rücknahme ist nicht möglich (vgl. LSG Hamburg, Urteil v. 27.4.2011, L 2 AL 36/08; Leitherer, SGG, § 102 Rn. 7c).
Rz. 25
Es besteht keine Möglichkeit, den zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erledigten Teil des Klagebegehrens (hier: durch teilweise Klagerücknahme gemäß § 102 SGG) im Weg...