4.3.1 Vorbemerkung
Rz. 14
Die Divergenzrevision dient der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (vgl. hierzu auch BGH, NJW 2003 S. 65; BGH, NJW 2003 S. 831 ff.; BGH, NJW 2003 S. 754; BGH, NJW 2004 S. 1960). Sie ist ein Unterfall der Grundsatzrevision (vgl. BSG, Beschluss v. 29.3.2007, B 9a V 7/06 B; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, Rz. 373). Abweichung (Divergenz) i. S. v. § 160 Abs. 2 Nr. 2 bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, also das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrundegelegt worden sind. Dies setzt voraus, dass das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz der in der Vorschrift genannten Gerichte aufgestellt hat (vgl. BSG, Beschluss v. 26.9.2007, B 12 KR 12/07 B) und dieser Rechtssatz dem Berufungsurteil bzw. -beschluss tragend zugrunde liegt (vgl. BSG, Beschluss v. 31.7.2007, B 13 R 204/07 B; BSG, Beschluss v. 3.1.2006, B 12 RA 12/05 B). Eine Abweichung des Berufungsurteils zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts liegt daher nicht schon dann vor, wenn das LSG einen Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat, sondern erst dann, wenn es diesem Rechtssatz widersprochen, also einen anderen Rechtssatz aufgestellt und angewandt hat (vgl. BSG, Beschluss v. 1.12.2017, B 11 AL 66/17 B).
4.3.2 Die Entscheidung, von der das LSG abweicht
Rz. 15
Die Revision wegen Divergenz ist zuzulassen, wenn das anzufechtende Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) stellt keinen Zulassungsgrund dar (vgl. BSG, Beschluss v. 21.6.2007, B 13 R 103/07 B). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst oder unbewusst einen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung objektiv abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich nur fehlerhaft das Recht angewandt hat (vgl. BSG, Beschluss v. 15.8.2007, B 1 KR 65/07 B; BSG, Beschluss v. 1.8.2007, B 12 KR 34/07 B). Sofern das LSG von einer Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs des Bundes abweicht, kann dies keine Divergenzzulassung begründen (vgl. BSG, Beschluss v. 7.6.2018, B 9 V 69/17 B; BSG, Beschluss v. 21.12.1993, 12 BK 33/93); ggf. kommt eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung in Betracht (vgl. Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, Rz. 382). Die Entscheidung, zu der Divergenz besteht, muss weder veröffentlicht noch dem LSG auch nur bekannt sein (vgl. Kummer, a. a. O., Rz. 383, 384). Für die Frage der Divergenz ist auf die aktuelle Gesetzeslage und die aktuelle Rechtsprechung abzustellen. Abweichungen von früheren Entscheidungen, die außer Kraft getretenes Recht betreffen oder deren Aussagen später von der Rechtsprechung nicht aufrecht erhalten worden sind, rechtfertigen keine Revisionszulassung (vgl. BSG, Beschluss v. 26.8.1999, B 1 KR 15/99 B).
4.3.3 Divergenz als inhaltlicher Widerspruch im abstrakten Rechtssatz
Rz. 16
Eine Divergenz ist i.d.R. nur dann anzunehmen, wenn die zu vergleichenden Entscheidungen auf dieselben Rechtsnormen gestützt werden; ausreichend ist es aber auch, wenn es um die Inhaltsbestimmung und die Tragweite eines Rechtsgrundsatzes geht, der in verschiedenen Rechtsvorschriften zum Ausdruck gekommen ist (vgl. BSG, Urteil v. 21.5.1969, GS 2/67). Die Abweichung darf nicht nur ein obiter dictum betreffen, sondern muss in einem tragenden abstrakten Rechtssatz bestehen. Alles, was aus der Entscheidungsbegründung hinweggedacht werden kann, ohne dass sich dadurch am Ergebnis etwas ändert, ist ein obiter dictum; alles, was mit Rücksicht auf das konkrete Ergebnis nicht hinweggedacht werden kann, ist eine ratio decidendi, also ein tragender Entscheidungsgrund. Auch der Kontext, in dem die für die Divergenz herangezogenen bundesgerichtlichen Rechtssätze stehen, ist zu berücksichtigen (vgl. hierzu z. B. BSG, Beschluss v. 17.6.2009, B 6 KA 56/08 B). Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl. BSG, Beschluss v. 19.9.2007, B 1 KR 52/07 B; BSG, Beschluss v. 31.7.2007, B 13 R 204/07 B). Eine mit der Revisionszulassung zu beseitigende Gefährdung der Rechtseinheit ist erst dann zu befürchten, wenn das LSG einen über den Einzelfall hinausgehenden abstrakten Rechtssatz aufstellt, der einem gleichermaßen abstrakten Rechtssatz des BSG oder BVerfG widerspricht (vgl. Zeihe, § 160 Rz. 15a). Es genügt, wenn die Abweichung objektiv vorliegt (vgl. BFHE 98 S. 1). Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung (vgl. BSG, Beschluss v. 26.2.2007, B 3 P 1/07 B).
4.3.4 Beruhen
Rz. 17
Das angefochtene Urteil beruht auf der Divergenz, wenn das LSG dann zu einer anderen Sachentscheidung hätte k...