Rz. 3
Klageänderungen (§ 99) sind im Revisionsverfahren schlechthin unzulässig. Dieses Verbot soll verhindern, dass das Revisionsgericht einen Sachverhalt würdigen muss, der durch die Tatsachengerichte noch nicht beurteilt worden. Die Rechtskontrolle durch das Revisionsgericht würde sich in einem solchen Fall nicht mehr auf die Entscheidung der Vorinstanz beschränken (vgl. BSG, Urteil v. 1.7.1992, 14a/6 RKa 22/91; BSG, Urteil v. 2.8.2001, B 7 AL 18/00 R). Eine Klageänderung ist eine Änderung des Klagegrundes, des Klageantrags oder der Beteiligten (vgl. Peters/Sautter/Wolff, § 168 Rz. 2). Keine Klageänderung liegt nach Maßgabe des § 99 Abs. 3 in den dort genannten Fällen vor. Für das Revisionsverfahren bedarf dies allerdings einer Einschränkung. Da § 99 über § 153 i. V. m. § 165 für das Revisionsverfahren nur entsprechend gilt, darf die Änderung nicht darauf abzielen, dass vom BSG neue Tatsachen festgestellt werden müssen. Eine Änderung des Klagebegehrens darf nicht zur Folge haben, dass das BSG einen Sachverhalt zu würdigen hätte, der der Beurteilung durch ein Tatsachengericht noch nicht unterlag (vgl. BSG, Urteil v. 15.2.1979, 7/12 RAr 43/77).
Zulässig ist es mit dieser Maßgabe grundsätzlich auch in der Revisionsinstanz, den Klageantrag zu erweitern, zu beschränken oder zu ergänzen, sofern dies keine Klageänderung i. S. d. § 99 Abs. 3 darstellt (vgl. BSG, Urteil v. 18.5.2006, B 9a V 2/05 R).
Rz. 4
Eine unzulässige Klageänderung führt grundsätzlich zur Verwerfung der Revision als unzulässig. In Ausnahmefällen kommt auch eine Zurückverweisung in Betracht (vgl. BSG, Urteil v. 5.9.2006, B 2 U 8/05 R für den Fall der fehlenden Passivlegitimation der Beklagten).
Rz. 5
Beispiele für unzulässige Klageänderungen:
- Der Kläger macht erstmals im Revisionsverfahren einen Aufhebungsanspruch wegen nachträglicher Änderung der Verhältnisse (§ 48 Abs. 1 SGB X) geltend (vgl. BSG, Urteil v. 14.3.2006, B 4 RA 41/04 R).
- Der Kläger stützt die Unterlassungsklage im Revisionsverfahren auch auf andere Rechtsnormen (hier § 25, § 35 Abs. 3 GWB) als im Klage- und Berufungsverfahren und führt damit einen neuen Lebenssachverhalt ein (vgl. BSG, Urteil v. 1.7.1992, 14a/6 RKa 22/91).
- Der Kläger ändert in der Revisionsinstanz seinen bisherigen Feststellungsantrag in einen Leistungsantrag, der weitere Ermittlungen erforderlich macht (vgl. BSG, Beschluss v. 10.4.1991, 6 RKa 7/90).
- Eine Änderung des Klagebegehrens ist auch bei unverändertem Klagegrund nicht zulässig, wenn das geänderte Klagebegehren sich auf einen Sachverhalt stützt, der der Vorinstanz zur Beurteilung nicht oblag, also bisher nicht entscheidungserheblich war und nach dem bisherigen Begehren mit Recht einer Prüfung nicht unterzogen worden ist (vgl. BSG, Urteil v. 17.4.1986, 7 RAr 91/84; BSG, Urteil v. 27.2.1985, 2 RU 13/84).
- Ein erstmals in der Revisionsinstanz geltend gemachter Schadensersatzanspruch, der sich auf eine neue Begründung in tatsächlicher Hinsicht stützt, beinhaltet eine gemäß § 168 unzulässige Klageänderung (vgl. BSG, Urteil v. 12.3.1986, 5a RKn 22/84; BSG, Urteil v. 15.2.1979, 7/12 RAr 43/77).
- ein gewillkürter Beteiligtenwechsel (vgl. BVerwG, NJW 1983 S. 1173); anderes gilt dann, wenn es sich um einen Parteiwechsel infolge einer gesetzlichen Rechtsnachfolge, Funktionsnachfolge oder Rechtsträgernachfolge handelt (vgl. BSG, Urteil v. 12.2.2009, B 5 R 39/06 R; Urteil v. 18.1.2011, B 4 AS 90/10 R).
- Widerklage (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, § 165 Rz. 5).
Rz. 6
Zulässig sind grundsätzlich alle Änderungen, die nach § 99 Abs. 3 keine Klageänderung sind. Beispiele für zulässige Änderungen:
- Klarstellung des Klageziels (vgl. BSG, Urteil v. 26.1.2000, B 6 KA 47/98 R).
- Ergänzt der Kläger lediglich seine rechtlichen Ausführungen und trägt er weitere mögliche Anspruchsgrundlagen vor, ist dies keine Klageänderung (vgl. BSG, Urteil v. 28.3.2000, B 8 KN 3/98 U R).
- Rechts- oder Funktionsnachfolge (vgl. BSG, Urteil v. 12.2.2009, B 5 R 39/06 R; Urteil v. 18.1.2011, B 4 AS 90/10 R) als gesetzlicher Beteiligtenwechsel.
- Eine Berichtigung des Rubrums bedeutet keine nach § 168 unzulässige Klageänderung (vgl. BSG, Urteil v. 16.7.1996, 1 RS 2/94).
- Übergang der Untätigkeitsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage (vgl. BSG, Urteil v. 8.12.1993, 14a RKa 1/93).
- Übergang von einem negativen Feststellungsbegehren zu einem Anfechtungsbegehren, bei dem – unverändert – eine in einem Verwaltungsakt festgelegte öffentlich-rechtliche Verpflichtung zu einem Tun oder Unterlassen bekämpft wird(vgl. BSG, Urteil v. 12.7.1989, 7 RAr 46/88; BVerwG, Urteil v. 9.6.1967, VII C 18.66).
- Der Übergang von der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1) zur Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4) ist bei unverändertem Streitstoff keine Klageänderung, sondern gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 eine auch im Revisionsverfahren eine zulässige Erweiterung des Klageantrags (vgl. BSG, Urteil v. 20.9.1989, 7 RAr 110/87).
- Übergang von Anfechtungs- auf Feststellungsklage (vgl. BSG,...