1 Allgemeines
Rz. 1
§ 170a ist mit Wirkung zum 1.1.1975 durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes v. 30.7.1974 (BGBl. I S. 1626) in das SGG eingefügt worden. Das Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz – JKomG) v. 22.3.2005 (BGBl. I S. 837) hat in Satz 1 das Wort "Übergabe" durch das Wort "Übermittlung" und das Wort "zuzuleiten" durch die Wörter "zu übermitteln" ersetzt.
Rz. 2
Die Mitwirkung sachkundiger ehrenamtlicher Richter ist ein grundlegendes Element des sozialgerichtlichen Verfahrens. Die möglichst umfassende Information der ehrenamtlichen Richter ist notwendig und geboten. Ehrenamtliche Richter haben allerdings keinen Anspruch auf Akteneinsicht oder sonstige Vorabinformationen (vgl. BFH, Urteil v. 27.10.2003, VII B 196/03; LSG Thüringen, Urteil v. 10.12.2001, L 6 B 46/00 SF). Ob und inwieweit ehrenamtliche Richter im Einzelfall vor der jeweiligen Sitzung, zu der sie geladen worden sind, über den Sach- und Streitstand unterrichtet werden, unterliegt der alleinigen Kompetenz des Spruchkörpervorsitzenden. Im Regelfall ist der Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung ggf. verbunden mit Ergänzungen in einem Gespräch vor der Sitzung oder während der Beratung ausreichende Grundlage für die Sachinformation der ehrenamtlichen Richter (vgl. BFH, Urteil v. 27.10.2003, VII B 196/03). Dennoch mag es im Einzelfall durchaus sinnvoll sein, ehrenamtliche Richter schon vor dem Sitzungstag über den Sach- und Streitstand zu unterrichten (vgl. LSG Thüringen, Urteil v. 10.12.2001, L 6 B 46/00 SF, m. w. N.). Eine Verpflichtung hierzu besteht indes nicht. Für den Berufungsrechtszug würde es sich etwa anbieten, den ehrenamtlichen Richtern vor der mündlichen Verhandlung den vom jeweiligen Berichterstatter gefertigten Sachbericht zu übersenden oder ihnen zumindest am Sitzungstag diesen zugänglich zu machen. § 7 Geschäftsordnung des BSG (GO BSG) bestimmt: "Den ehrenamtlichen Richterinnen bzw. Richtern sind rechtzeitig ein Verzeichnis der zur Entscheidung anstehenden Revisionssachen und die Terminvorschau zu übersenden. Außerdem erhalten sie Abschriften der angefochtenen Entscheidung, der Revisionsbegründung, der folgenden Schriftsätze und der Schreiben des Gerichts mit Hinweisen an die Beteiligten; ihnen ist am Tag vor der Sitzung im Gericht Einsicht in die Akten und – soweit vom Senat so vorgesehen – den vorläufigen Entscheidungsvorschlag (§ 2 Absatz 1 Satz 2) zu gewähren; alle diese Unterlagen dürfen nicht vervielfältigt werden und werden der Geschäftsstelle spätestens mit der Äußerung nach § 170a SGG zurückgegeben."
2 Rechtspraxis
Rz. 3
Die anderen Verfahrensordnungen kennen eine § 170a vergleichbare Regelung nicht. Die VwGO sieht keinerlei Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter an der Abfassung des Revisionsurteils vor; hingegen müssen die beim Bundesarbeitsgericht tätigen ehrenamtlichen Richter das Revisionsurteil unterschreiben (§ 75 Abs. 2 ArbGG). Die Regelung des § 170a liegt in der Mitte und stellt einen Kompromiss dar. Bundesrat und Rechtsausschuss hatten u. a. wegen der durch die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter eintretenden Verzögerung und unter dem Gesichtspunkt der Vereinheitlichung des Verfahrensrechts darauf gedrungen, die Vorschrift zu streichen. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ist dem nicht beigetreten (vgl. BT-Drs. 7/2024). Nach seiner Auffassung entspricht es der Stellung der ehrenamtlichen Richter beim BSG, dass sie sich zu den Urteilsgründen äußern und auf deren Abfassung Einfluss nehmen können; die hiermit – im Verhältnis zur Gesamtverfahrensdauer – geringfügige Verzögerung könne hingenommen werden (vgl. BT-Drs. 7/2024). In der amtlichen Begründung (vgl. BT-Drs. 7/861 S 15) heißt es hierzu ferner: "Wegen der Bedeutung, die den Urteilen des BSG im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zukommt, sollen die ehrenamtlichen Richter, die an der Entscheidung mitgewirkt haben, sich zu den Urteilsgründen äußern können."
Rz. 4
Die Gesetzesbegründung ist letztlich nicht völlig überzeugend und nur im Hinblick auf den Kompromisscharakter der Regelung verständlich. Denn um den sich aus der Gesetzesbegründung ergebenden Zweck vollständig gerecht zu werden, müssten die ehrenamtlichen Richter – wie nach § 75 Abs. 2 ArbGG – konsequenterweise das Revisionsurteil unterzeichnen. Da die Entscheidungen des BVerwG und des BFH wohl kaum weniger die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherstellen sollen, hätte mit der Begründung in BT-Drs. 7/2024 und BT-Drs. 7/861 naturgemäß auch dort eine entsprechende Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter eingeführt werden müssen (vgl. kritisch zur Vorschrift auch Peters/Sautter/Wolff, § 170a Rz. 2).
Rz. 5
Der Urteilsentwurf muss den ehrenamtlichen Richtern vor Übermittlung an die Geschäftsstelle zugeleitet werden, diese können sich dann innerhalb von 2 Wochen hierzu äußern. Unterbleibt innerhalb der Frist von 2 Wochen nach Zugang des Entwurfs eine Äußerung, wird der Entwurf der Geschäftsstelle zugeleitet. Begehrt eine...