Rz. 9
Ab dem 1.1.2011 ist eine Untätigkeitsbeschwerde als außergerichtlicher Rechtsbehelf nicht statthaft. Dem liegt zugrunde:
Ein dringender Regelungsbedarf zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren in Zivilsachen sowie in Verwaltungsstreitsachen und verfassungsgerichtlichen Verfahren war entstanden, weil der EGMR die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hat, innerhalb eines Jahres einen wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelf oder eine Kombination solcher Rechtsbehelfe einzuführen, mit denen eine angemessene und hinreichende Wiedergutmachung für überlange Verfahren im Einklang mit den Grundsätzen der Konvention, wie sie in der Rechtsprechung des EGMR niedergelegt sind, gewährleistet werden kann (EGMR, Urteil v. 2.9.2010, 46344/06, NJW 2010 S. 3355). Diese Grundsätze sind zusammengefasst im Urteil der Großen Kammer des EGMR v. 8.6.2006 (75529/01, NJW 2006 S. 2389). Danach garantiert Art. 13 EMRK einen Rechtsbehelf gegen einen Verstoß durch überlange Verfahrensdauer gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK. Ein solcher Rechtsbehelf ist wirksam, wenn der Beschwerdeführer mit ihm entweder die Entscheidung des zuständigen Gerichts beschleunigen oder angemessene Wiedergutmachung für schon eingetretene Verzögerungen erlangen kann.
Rz. 10
Hierauf ist zum 1.1.2012 das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 in Kraft getreten (BGBl. I S. 2301). Dem GVG wurde ein Siebzehnter Titel angefügt. § 198 Abs. 1 Satz 1 begründet einen Entschädigungsanspruch gegen den Staat wegen überlanger Dauer eines gerichtlichen Verfahrens, der bei Verzögerungen in Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Zivilverfahren einschließlich freiwilliger Gerichtsbarkeit und Strafverfahren einschließlich Bußgeldverfahren) und der Fachgerichtsbarkeiten zur Verfügung stehen soll. Die Voraussetzungen und die Ausgestaltung des Entschädigungsverfahrens werden in § 198 ff. GVG im Einzelnen vorgegeben. Der für einen Entschädigungsanspruch maßgebliche Tatbestand ist die Verletzung des Anspruchs eines Verfahrensbeteiligten aus Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 20 Abs. 3 GG und aus Art. 6 Abs. 1 EMRK auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (BT-Drs. 17/3802 S. 19). Der Staat kann sich zur Rechtfertigung der überlangen Dauer eines Verfahrens nicht auf Umstände innerhalb des staatlichen Verantwortungsbereichs berufen; vielmehr muss er alle notwendigen Maßnahmen treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist beendet werden können (vgl. BVerfG, Beschluss v. 29.3.2005, 2 BvR 1610/03, NJW 2005 S. 3488; EGMR, Urteil v. 25.2.2000, 29357/95, NJW 2001 S. 211). Deshalb kann bei der Frage der angemessenen Verfahrensdauer nicht auf die chronische Überlastung eines Gerichts, länger bestehende Rückstände oder eine allgemein angespannte Personalsituation abgestellt werden. Der normierte Anspruch ist ein staatshaftungsrechtlicher Anspruch sui generis auf Ausgleich für Nachteile infolge rechtswidrigen hoheitlichen Verhaltens und setzt – wie dargelegt – ein Verschulden des Gerichts nicht voraus. Der Ausgleich umfasst dem Umfang nach sowohl den vollen Ersatz für materielle Nachteile als auch einen Ausgleich für immaterielle Nachteile. Der für diesen Ausgleich verwendete Begriff "Entschädigung" wird damit in einem erweiterten, vom sonstigen Staatshaftungsrecht abweichenden Sinn gebraucht (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 18).