1 Allgemeines

 

Rz. 1

Vergleichbare Regelungen weisen § 149 VwGO und § 570 ZPO auf. Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung stellt nach dem Regelungskonzept des SGG eine Ausnahme dar (z. B. § 154 für das Berufungsverfahren und § 165 für das Revisionsverfahren). Grundsätzlich hat die Beschwerdeeinlegung keine aufschiebende Wirkung (hierzu LSG Bayern, Beschluss v. 19.5.2010, L 10 AL 127/10 ER, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 25.9.2007, L 32 B 1565/07 AS ER, juris). Die Beschwerdeeinlegung hindert weder den Fortgang des Verfahrens noch die Vollstreckbarkeit und Vollziehbarkeit der angefochtenen Entscheidung (s. § 86a Rz. 17 ff.). Die aufschiebende Wirkung ist vom Suspensiveffekt zu unterscheiden, der den Eintritt der formellen Rechtskraft hemmt. Suspensiveffekt hat die Beschwerde immer, weil sie ein Rechtsmittel ist (s. vor § 172 Rz. 1). Trotz Suspensiveffekts der Beschwerde kann daher aus der angefochtenen Entscheidung vollstreckt werden, soweit nicht nach den Vorschriften des SGG Aufschub eintritt (hierzu § 199 Abs. 1 Nr. 1). Die Einlegung der Beschwerde hemmt sonach den Eintritt der formellen Rechtskraft des angefochtenen Beschlusses, nicht jedoch dessen Vollzugs- und Vollstreckungsfähigkeit (§ 199 Abs. 1 Nr. 1). Die in den Ausnahmefällen des § 175 kraft Gesetzes eintretende aufschiebende Wirkung (§ 175 Satz 1) und die Aussetzung des Vollzugs (§ 175 Satz 3) bewirken, dass die Zwangsvollstreckung nicht eingeleitet werden darf bzw. einzustellen ist. Die Beschwerde hat in 3 Fällen aufschiebende Wirkung, nämlich

  • sie greift die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels an,
  • das Gericht oder der Vorsitzende setzt den Vollzug aus,
  • die aufschiebende Wirkung folgt aus den Vorschriften des GVG bzw. der ZPO.

2 Rechtspraxis

2.1 Regelung der Sätze 1 und 2

 

Rz. 2

Unter Satz 1 fallen nur die im SGG selbst geregelten Ordnungs- und Zwangsmittel (z. B. §§ 21, 35, 47, 201). Im Übrigen gilt § 175 Satz 1 wegen Satz 2 nicht für Entscheidungen aufgrund anderer Vorschriften (z. B. ZPO oder GVG). Für Ordnungsmittel nach GVG (§§ 178, 180 GVG) ist § 181 Abs. 2 GVG maßgebend. Demzufolge haben Beschwerden gegen Beschlüsse in Ausübung der Sitzungspolizei (§ 61 Abs. 1) aufschiebende Wirkung. Für zivilprozessuale Regelungen bestimmt § 570 ZPO, wann die Beschwerde aufschiebende Wirkung hat. Diese Vorschrift gilt für das SGG-Verfahren beispielsweise bei Beschwerden gegen Beschlüsse nach § 118 Abs. 1 SGG i. V. m. § 380 ZPO (Ausbleiben von Zeugen), § 390 ZPO (Zeugnisverweigerung), § 409 ZPO (Gutachtenverweigerung) und § 411 ZPO (Fristüberschreitung). Entsprechend anwendbar sind ferner §§ 109, 141 Abs. 3, 273 Abs. 4, 387 Abs. 3 ZPO. Die aufschiebende Wirkung tritt ein, wenn die (auch unzulässige) Beschwerde eingelegt ist (zu den Ausnahmen s. § 86a Rz. 24 ff.). Sie entfällt mit Entscheidung über die Beschwerde.

2.2 Aussetzung des Vollzugs

 

Rz. 3

Der Vollzug der angefochtenen Entscheidung kann nach § 175 Satz 3 ausgesetzt werden, wenn nicht schon aufschiebende Wirkung nach Satz 1 eingetreten ist und es sich um eine Entscheidung handelt, die der aufschiebenden Wirkung fähig ist. Die angefochtene Entscheidung muss mithin einen vollziehbaren Inhalt haben. Das ist nicht der Fall, wenn lediglich ein Antrag abgelehnt wird. Durch diese Regelung soll verhindert werden, dass die angegriffene, noch nicht rechtskräftige Entscheidung Wirkungen entfaltet, die durch eine von dem Rechtsmittelgericht später zu treffende ersetzende Sachentscheidung nicht mehr beseitigt werden könnten (s. auch § 86a Rz. 21).

 

Rz. 4

Nach bisherigem Recht war unzweifelhaft, dass die Aussetzungsentscheidung vom iudex a quo (Vorsitzender oder Kammer des SG) und nicht vom Beschwerdegericht zu treffen war (vgl. Krasney/Udsching, 5. Aufl. 2008, X Rn. 33; Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 175 Rn. 3). Das folgt aus dem insoweit unmissverständlichen Wortlaut des Satzes 3. Die Zuständigkeit des iudex a quo reichte bis zur Nichtabhilfeentscheidung (§ 174). Danach war das Beschwerdegericht zuständig (§ 199 Abs. 2). Hiernach kann der Senatsvorsitzende nach Vorlage der Beschwerde an das Beschwerdegericht die Vollstreckung aussetzen. Diese Kompetenzverteilung wird sich unter Geltung des SGGArbGGÄndG v. 26.3.2008 (BGBl. I S. 444 ff.) ab dessen Inkrafttreten mit dem 1.4.2008 nicht aufrechterhalten lassen. Nunmehr ist das Abhilfeverfahren abgeschafft, indem § 174 gestrichen worden ist. Hieraus folgt, dass die zuvor für die Kompetenzverteilung maßgebende Zäsur (bis zur Nichtabhilfeentscheidung das SG, danach das Beschwerdegericht) nicht mehr greift. Ungeachtet dessen soll nach Satz 3 weiterhin der iudex a quo für die Aussetzungsentscheidung zuständig sein. Das kann ab dem 1.4.2008 geltenden Recht aber schon deswegen nicht sein, weil die Sache mit Einlegung der Beschwerde infolge des Devolutiveffekts beim LSG angefallen ist. Der Gesetzgeber hat versäumt, § 175 Satz 3 anzupassen. Zur Problemlösung bietet es sich an, auf Rechtsgedanken der VwGO zurückzugreifen. So bestimmt § 146 Abs. 4 Satz 5 VwGO, dass das VG die Beschwerde gegen einen im Verfah...

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